Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson

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Liaisons mit so vielen Suurs haben, wie du rumkriegen kannst. Warum ist das so schlecht?«
    Er verwendete viel zu viel Aufmerksamkeit darauf, einen Stein vor sich her zu kicken und zuzusehen, wie er über das Straßenpflaster hüpfte. »Ich schaue mir immer die winzigen Kerle auf den Buntglasfenstern an«, sagte er.
    »Hä?«
    »Du weißt schon. Auf den Fenstern mit Darstellungen der Saunts. Die Saunts selbst sind immer groß abgebildet. Sie füllen das Fenster weitgehend aus. Aber wenn du näher hinschaust, siehst du winzig kleine Figuren in Kullen und Korden …«
    »Die sich an ihre Knie schmiegen«, ergänzte ich.
    »Genau. Und voller Bewunderung zu den Saunts aufblicken. Die Gehilfen. Die Fids. Die Zweitklassigen, die irgendwann ein Lemma bewiesen oder einen Entwurf gelesen haben. Niemand kennt ihre Namen, außer vielleicht der schrullige alte Fraa, der sich um dieses eine Fenster kümmert.«
    »Du möchtest nicht als Knieumarmer enden«, sagte ich.
    »Das stimmt. Wie funktioniert das? Warum die einen und andere nicht?«
    »Du hättest also gerne ein Fenster ganz für dich allein?«
    »Es würde bedeuten, dass mir etwas Interessantes widerfahren würde«, sagte er, »etwas Interessanteres als das hier.«
    »Und wenn es auf eine Entscheidung zwischen dem hier und einem genügend hohen Allesgutspiegel in deinem Blut hinausliefe?«
    Darüber dachte er nach, während wir warteten, dass ein Satteltromm rückwärts aus dem Weg fuhr.
    »Endlich stellst du eine interessante Frage«, sagte er.
    Und war von da an ein angenehmer Gefährte.

    Eine halbe Stunde später verkündete ich, dass wir uns verirrt hätten. Jesry hörte es mit Freuden, so als wäre das befriedigender, als sich zurechtzufinden.
    Ein kastenförmiges Fahrzeug rollte vorbei. »Das ist der dritte Bus voll Kinder, der innerhalb kurzer Zeit an uns vorbeigefahren ist«, bemerkte Jesry. »Hattet ihr in eurem Viertel eine Suvin?«
    »Orte wie dieser haben keine Suvine«, erinnerte ich ihn. »Sie haben Stabilos.«
    »Ach ja. Das kommt von – es ist ein altes fluckisches Wort – äh, kulturelle …«
    »Stabilisierungszentren. Sag das aber bloß nicht, so hat sie seit ungefähr dreitausend Jahren niemand genannt.«
    »Stimmt. Das sind eben Stabilos.«
    Wir bogen dort ab, wo die Busse abbogen. Dann war die Atmosphäre zwischen uns eine Zeitlang angespannt. Innerhalb des Maths spielte es keine Rolle, dass er von Burghern und ich von Dards abstammte. Doch kaum waren wir durch das Jahrzehnttor getreten, war diese Tatsache freigesetzt worden wie eine Faulgasblase tief im dunklen Wasser. Seitdem war sie unsichtbar aufgestiegen und immer größer geworden und genau jetzt in einem gewaltigen flammenden stinkenden Rülpser geplatzt.
    Mein altes Stabilo sah in meinen Augen wie eine Miniaturreproduktion von sich selbst aus, die ein schlampiger Modellbauer zusammengestückelt hatte. Manche der Räume waren zugenagelt. Zu meiner Zeit waren sie überfüllt gewesen. Das bestätigte also, dass die Bevölkerung abnahm. Wenn ich nach geraumer Zeit Großfraa wäre, stünde hier vielleicht ein junger Wald.
    Ein leerer Bus fuhr aus der Einfahrt. Bevor der nächste kam, erblickte ich eine Horde von Jugendlichen, die unter riesigen Rucksäcken in eine Schlucht aus buntem Licht wankten: einen überdachten Durchgang mit Maschinen zu beiden Seiten, die Snacks, Getränke und Aufsehen erregende Geräusche von sich gaben. Von dort würden sie ihr Frühstück in Räume tragen, die Jesry und ich durch Fenster sehen konnten: In manchen schauten die Kinder alle auf einem einzigen großen Bildschirm dasselbe Programm, in anderen hatte jedes seine eigene Konsole vor sich. An einem Ende dröhnte die gesichtslose Wand der Turnhalle von den niederfrequenten Rhythmen eines Sportprogramms. Ich erkannte den Beat. Es war derselbe, nach dem wir damals auch geturnt hatten.

    Jesry und ich hatten zehn Jahre lang keine bewegten Bilder gesehen, und so standen wir ein paar Minuten wie hypnotisiert da. Ich fand mich jedoch inzwischen wieder zurecht, und nachdem ich Jesry mit einem Schubs in Bewegung gesetzt hatte, konnte ich uns die Straßen entlangführen, die ich als Junge durchstreift hatte. Hier veränderten die Leute ihre Häuser mit derselben Begeisterung wie ihre Fahrzeuge; wenn ich also ein Wohnhaus erkannte, hatte es womöglich ein neues, freistehendes Dach über dem alten oder neue Module waren in diejenigen eingefügt worden, die ich in meinen Träumen von dem Ort gesehen hatte. Allerdings kam mir