Anathem: Roman

Verbindungskabel aus Lichtleitfaser, über die sich aufgefangenes Sonnenlicht von der Außenseite des Ikosaeders in die Kugeln leiten lässt, wo es auf ihre Dachfarmen herabscheint.

    Die Kugeln selbst sind vergleichsweise einfach. In ihnen überlässt man es dem Wasser, immer in die Waagerechte zurückzukehren. Wenn sich das ganze Konstrukt dreht, flieht das Wasser an die Außenseite und krümmt sich zu einer Kurve, auf der die »Schwerkraft« stets derjenigen auf dem Heimatplaneten entspricht. Wird das Schiff angetrieben, sammelt sich das Wasser im Achterteil der Kugel und richtet sich horizontal aus. Die Leute leben auf der Wasseroberfläche in Hausbooten, die durch ein Netz aus elastischen Leinen untereinander verbunden sind und von robusten Fendern auseinandergehalten werden; wenn sich die Gestalt des Wassers verändert, kommt es stets zu einem gewissen Gedränge. Wie richtige Boote jedoch sind die Hausboote dafür ausgerüstet; die Schränke haben Riegel, damit sie nicht aufspringen, die Möbel sind am Boden befestigt, damit sie nicht verrutschen. Die Leute leben, wie ihre Vorfahren auf dem Heimatplaneten gelebt haben, und denken manchmal tage-, ja wochenlang nicht groß darüber nach, dass sie in einem Metallballon eingeschlossen sind, der von A-Bomben durch den Raum gepeitscht wird – so wie ihre Familien auf Urnud, Tro, Laterre oder Fthos vielleicht nie darüber nachdenken, dass sie auf nassen Felskugeln leben, die durch ein Vakuum sausen.
    Diese Konstruktion – der Kugelstapel – ist ein hübsches Stück Arbeit, das jedoch durch kosmische Strahlen, umherirrende Felsbrocken, Sonnenlicht und fremde Waffen gefährdet ist. Man umgebe sie also mit Schotterwänden, und wo man schon dabei ist, hänge man die Wände an einem Netz aus gigantischen Stoßdämpfern auf. In dessen Mitte und damit verbunden ist der Kugelstapel aufgehängt. Alles, was sich auf den Rest des Universums bezieht – Radar, Teleskope, Waffensysteme, Erkundungsfahrzeuge -, haust auf der Außenseite, befestigt an den dreißig Stoßdämpfern oder den zwölf Vertices, wo die Stoßdämpfer zusammenlaufen. Drei der Vertices – diejenigen um die Schubplatte – sind nackte Mechanismen, doch die anderen neun sind allesamt für sich genommen komplexe Raumfahrzeuge. Einige sind unter Überdruck stehende Kugeln, in denen Angehörige des Kommandos gewichtlos umherschweben. Durch andere sind breite Tunnel gebohrt, sodass kleine Fahrzeuge und Menschen in Raumanzügen zwischen dem Inneren des Ikosaeders und dem Rest des jeweiligen Kosmos, in dem sich das Schiff gerade befindet, hin- und hergelangen können. Und einer ist ein
optisches Observatorium, leistungsfähiger als jedes auf Arbre, weil es das Vakuum des Raums nutzen kann.
    Dies alles war in den Tagen, in denen meine Zellenkameraden und ich in Elkhazg Raumanzüge zusammengebaut und Videospiele gespielt hatten, von den Köpfen des Antischwarms mehr oder weniger detailliert im Modell nachgebildet worden. Das Modell existierte jetzt in unseren Anzügen. Wir konnten es durchfliegen, indem wir dieselben Bedienungselemente – Rollkugel und Knüppel – benutzten, mit denen wir zuvor die Mannjifieks gesteuert hatten. Von fern wirkte es auf eindrucksvolle Weise komplett und war von so etwas wie einer organischen Komplexität; kam ich jedoch näher, um mir den Kern des Kugelstapels genauer anzusehen, stieß ich auf darüber gelegte, halb durchsichtige Anmerkungen, die von schüchternen Avot angebracht worden waren und mich in perfektem Orth mit Bedauern davon unterrichteten, dass ab hier alles bloße Vermutung sei.
    Fraa Jads Wunsch ging endlich in Erfüllung: Er bekam einen Sextanten. Man hatte uns ein Gerät mitgegeben, das aus einem Weitwinkelobjektiv wie Clesthyras Auge bestand und bestimmte Konstellationen erkennen konnte. Somit konnte es unsere Fluglage in Bezug auf die so genannten Fixsterne bestimmen. In Verbindung mit der Position von Sonne, Mond und Arbre und einer genauen inneren Uhr nebst Ephemeride lieferte dies dem Ding so viele Informationen, dass es unsere Bahnelemente berechnen konnte. Sobald das Vorhandensein dieses Geräts bekanntgemacht wurde, belegte Fraa Jad es mit Beschlag und brachte Stunden damit zu, seine Funktionen zu meistern.
    Nun, da sich unser Abenteuer offensichtlich zu einem Unternehmen auf Leben und Tod entwickelt hatte, gab Jules es auf, mit seinen Essensvorräten hauszuhalten und aß ungehemmt. Somit hoben sich sein Energieniveau und seine Stimmung. Jedes Mal, wenn er