Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
Vom Netzwerk:
Prinzip wirksam, oder?«, sagte ich. »Wenn irgendetwas ein wenig anders gelaufen wäre, wärst du tot – und du hättest kein Gehirn, mit dem du dich daran erinnern könntest.«
    Arsibalt blieb eine Zeitlang stumm, dann seufzte er. »Das ist genauso
unbefriedigend, wie es anthropische Argumente üblicherweise sind. Ich ziehe die alternative Erklärung vor.«
    »Und die wäre?«
    »Dass ich nicht nur brillant bin, sondern auch unter Druck einen kühlen Kopf behalte.«
    Ich beschloss, dies unkommentiert zu lassen. »Ich habe Träume gehabt«, gestand ich, »Träume, in denen alles genauso ist wie jetzt, nur dass du und Jad nicht da seid, weil ihr den Löffel abgegeben habt.«
    »Ja, und ich habe Träume gehabt, in denen habe ich Jad losgelassen, weil ich ihn nicht zurückholen konnte, und dann zugesehen, wie er in der Atmosphäre unter mir verglüht ist. Und andere Träume, in denen du es nicht geschafft hast, Raz. Wir haben den Reaktor geborgen, aber du warst einfach verschwunden.«
    »Aber dann wachst du auf …«, begann ich.
    »Ich wache auf und sehe dich und Jad. Aber die Grenze zwischen Wachen und Träumen ist hier so unscharf, dass ich manchmal nicht ausmachen kann, ob ich vom Träumen zum Wachen übergegangen bin oder umgekehrt.«
    »Ich glaube, ich verstehe, wohin das führt«, sagte ich. »Ich könnte tot sein. Du könntest tot sein. Jad könnte tot sein …«
    »Wir sind wie Fraa Orolos umherziehender Zehntausend-Jahre-Math geworden«, verkündete Arsibalt. »Ein Kausalbereich, der vom Rest des Kosmos abgeschnitten ist.«
    »Donnerwetter!«
    »Aber es gibt eine Nebenwirkung, vor der uns Orolo nie gewarnt hat«, fuhr er fort, »nämlich, dass wir ins Treiben geraten sind. Wir existieren nicht in dem einen oder anderen Zustand. Alles ist möglich, jede Geschichte hätte eintreten können, bis das Tor aufschwingt und wir in die Apert gehen.«
    »Entweder das«, sagte ich, »oder wir sind einfach nur müde und verängstigt.«
    »Das ist eine weitere Möglichkeit, die ebenfalls real sein könnte«, sagte Arsibalt.
     
    Wenn wir nicht (den meisten von uns zufolge) dösten oder (Arsibalt zufolge) zwischen verschiedenen, aber gleichermaßen realen Weltspuren trieben, studierten wir die Daban Urnud. Eine Beschreibung von Jules Verne Durand, ein paar Absätze lang und über das Retikulum
verteilt, hatte dem Antischwarm genügend Informationen geliefert, aufgrund deren man ein dreidimensionales Modell des außerarbrischen Schiffs hatte bauen können, das laut dem Laterraner auf geradezu unheimliche Weise genau war.
    Man blase einen Stahlballon auf einen Durchmesser von knapp einer Meile auf und fülle ihn zur Hälfte mit Wasser. Man wiederhole diesen Vorgang noch dreimal. Man platziere diese vier Kugeln auf die Ecken eines Quadrats, dicht beieinander, jedoch ohne dass sie einander berühren.
    Man wiederhole den Vorgang mit vier weiteren Kugeln. Man setze das neue Quadrat auf das alte. Doch zuerst drehe man es um fünfundvierzig Grad, sodass die oberen Kugeln sich in die Zwischenräume zwischen den unteren schmiegen wie aufeinandergestapelte Früchte bei einem Obst- und Gemüsehändler.
    Man setze zwei weitere solcher Kugelquadrate darauf, die man jeweils wie beschrieben drehe. Nun hat man sechzehn Kugeln in einem Stapel, der etwas mehr als zwei Meilen hoch und etwas weniger als zwei Meilen breit ist. Durch die Mitte des Stapels verläuft ein leerer Raum, ein Kamin von etwa einer halben Meile Durchmesser. In diesen Kamin packe man alle feinen Sachen: die ganze komplizierte, teure, vorzüglich konstruierte Praxik, die wir seit langem mit der Raumfahrt assoziieren. Ein Großteil davon ist nichts als Struktur: Strebewerk aus Stahl, um die Kugeln sicher an Ort und Stelle zu halten, während sich das ganze Ding mit einer Umdrehung pro Minute dreht, um eine Pseudoschwerkraft zu erzeugen, Manöver vollführt, um anfliegenden Objekten auszuweichen, das daraus resultierende Schwappen ausgleicht, unter Atomkraft beschleunigt oder alles zusammen.
    Sobald man sich davon überzeugt hat, dass es von der Konstruktion her nicht auseinanderfällt, bringe man die ganzen anderen Sachen darin unter: ein Lager, das Zehntausende von nuklearen Treibladungen fassen kann. Reaktoren, die Energie liefern, wenn das Schiff fern jeder Sonne ist. Ein unvorstellbar kompliziertes Rohr- und Leitungsnetz. Unter Überdruck stehende Korridore, durch die sich Urnuder, Troäner, Laterraner und Fthosier von einer Kugel in die andere begeben können.

Weitere Kostenlose Bücher