Anathem: Roman
ihrer Produkte wieder herauszufiltern. Sie haben Synvors geschaffen, deren einziger Zweck darin bestand, das Retikulum mit Scheiße zu überschwemmen. Aber es musste gute Scheiße sein.«
»Was ist gute Scheiße?«, fragte Arsibalt in höflich ungläubigem Ton.
»Na ja, schlechte Scheiße wäre ein unformatiertes Dokument, das aus zufällig aneinandergereihten Buchstaben besteht. Gute Scheiße wäre ein schön getipptes, gut geschriebenes Dokument, das hundert korrekte, verifizierbare Sätze und einen einzigen, auf subtile Weise
falschen enthält. Gute Scheiße zu erzeugen ist sehr viel schwerer. Zu Anfang mussten sie Menschen einstellen, um sie zu produzieren. Das wurde im Wesentlichen so gemacht, dass sie ein legitimes Dokument nahmen und Fehler einfügten – zum Beispiel einen Namen gegen einen anderen austauschten. Aber richtig in Schwung kam die Sache erst, als sich das Militär dafür interessiert hat.«
»Als Taktik zur Einschleusung von Fehlinformationen in die Retikel des Feindes, meinst du«, sagte Osa. »Darüber weiß ich Bescheid. Du sprichst von den Programmen für Künstliche Idiotie von Mitte des Ersten Millenniums A. R.«
»Genau!«, sagte Sammann. »Systeme für Künstliche Idiotie von enormer Raffinesse und Wirksamkeit wurden genau zu dem Zweck gebaut, den Fraa Osa genannt hat. Im Handumdrehen griff die Praxik auf den kommerziellen Sektor über und breitete sich in der Wild Wuchernden Botnetzstruktur aus. Egal. Entscheidend ist, dass es im Retikulum zu einer Art Dunklem Zeitalter kam, das andauerte, bis meine Ita-Vorfahren die Sache unter Kontrolle bringen konnten.«
»In der Wild Wuchernden Botnetzstruktur sind also immer noch Systeme für Künstliche Idiotie aktiv?«, fragte Arsibalt zutiefst fasziniert.
»Die WWB hat sich zu Beginn des Zweiten Jahrtausends zu etwas völlig anderem entwickelt«, sagte Sammann wegwerfend.
»Zu was denn?«, fragte Jesry.
»Das weiß keiner so genau«, sagte Sammann. »Wir bekommen nur Hinweise, wenn es Möglichkeiten findet, sich physisch bemerkbar zu machen, was glücklicherweise nicht so oft passiert. Aber wir kommen vom Thema ab. Die Funktionalität der Künstlichen Idiotie besteht nach wie vor. Man könnte sagen, dass die Ita, die das Ret aus dem Dunklen Zeitalter herausgeführt haben, die Künstliche Idiotie nur durch Einbeziehung besiegen konnten. Also gibt es, um die Geschichte abzukürzen, für jedes legitime Dokument, das im Retikulum herumschwirrt, Hunderte oder Tausende von gefälschten Versionen – Pseudons, wie wir sie nennen.«
»Die einzige Möglichkeit, die Verteidigungsanlagen intakt zu halten, besteht darin, sie unaufhörlichen Angriffen zu unterwerfen«, sagte Osa, und jeder Schwachkopf konnte erraten, dass er irgendeinen alten Klingenthal-Aphorismus zitierte.
»Ja«, sagte Sammann, »und das funktioniert so gut, dass die Benutzer
des Retikulums die meiste Zeit gar nicht bemerken, dass es das gibt. So wie ihr euch der Millionen von Keimen nicht bewusst seid, die euren Körper in jedem Augenblick jedes Tages anzugreifen versuchen und damit scheitern. Offenbar haben jedoch die jüngsten Ereignisse und die vom Antischwarm hervorgerufenen Belastungen den niederen Fehler wirksam werden lassen, von dem ich gesprochen habe.«
»Und die praktische Folge für uns«, sagte Lio, »ist, dass …?«
»Unsere Zellen am Boden vielleicht Schwierigkeiten haben, zwischen legitimen Mitteilungen und Pseudons zu unterscheiden. Und die Mitteilungen, die auf unseren Schirmen erscheinen, sind zum Teil vielleicht auch Pseudons.«
»Und das alles nur, weil irgendwo in einer Synvor ein paar Bits durcheinandergeraten sind«, sagte Jesry.
»Ein kleines bisschen komplizierter, als du es darstellst, ist es schon«, gab Sammann zurück.
»Aber worauf Jesry hinauswill«, sagte ich, »ist, dass diese Ambiguität letzten Endes davon hervorgerufen wird, dass sich irgendwo eine Reihe von logischen Toren oder Gedächtniszellen in einem Zustand befindet, der falsch oder zumindest zweideutig ist.«
»So könnte man es vermutlich formulieren«, sagte Sammann, und ich wusste, dass er die Achseln zuckte, auch wenn ich es nicht sehen konnte. »Aber das wird bald alles behoben sein, und dann werden wir auch keine doofen Mitteilungen mehr bekommen.«
»Ja, das werden wir ganz sicher nicht«, sagte Fraa Gratho.
»Warum sagst du das?«, fragte Lio.
»Seht doch mal«, sagte Fraa Gratho und streckte den Arm aus. Als wir in die angegebene Richtung blickten, sahen wir Fraa
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