Anathem: Roman
Jad, der sich an dem drahtlosen Kasten, unserer einzigen Verbindung zum Boden, zu schaffen machte. Er stach immer wieder mit einem Schraubenzieher darauf ein. Ab und zu schwebte ein Splitter davon weg, den er mit einer Skeletthand penibel aus dem Raum pflückte, damit er nicht unter dem Kalten Schwarzen Spiegel hervorkam und ein Radarecho zurückwarf.
Als er endgültig damit fertig war, schwebte er zu unserer Zusammenkunft zurück und stöpselte sich ein. Lio blieb ruhig und wartete darauf, dass er etwas sagte.
Jad sagte: »Das Leck hat Entscheidungen erzwungen, und sie zu treffen hat die Lage keineswegs verbessert.«
Schön. Im Effekt waren wir also mit einem wahnsinnigen Hexenmeister in einem Zimmer eingesperrt. Das machte die Lage ein wenig klarer. Wir blieben eine Zeitlang stumm. Wir wussten, dass es keinen Sinn hatte, eine Klärung zu verlangen. Fraa Jad hatte es so deutlich formuliert, wie er es vermochte. Ich sah, wie Jesry in seinem Spulo-Display in meine Richtung blickte. So machen es die Inkantoren; er macht es jetzt.
Sammann brach das Schweigen schließlich. »Es ist höchst sonderbar«, sagte er, und er hörte sich merkwürdig bewegt an, »aber ich versuche schon die ganze Zeit, den Mut aufzubringen, dasselbe zu tun.«
»Was? Den Sender zu zerstören?«, fragte Lio.
»Ja. Vor ein paar Stunden habe ich sogar geträumt, ich hätte es tatsächlich getan. Ich habe mich damit wohlgefühlt. Als ich aufgewacht bin, war ich überrascht, dass er ganz war.«
»Warum solltest du dir wünschen, ihn zu zerstören?«, fragte Arsibalt.
»Ich habe seine Gewohnheiten beobachtet. Einmal pro Umlauf kommt er in Sichtlinie mit einer Einrichtung am Boden und stellt eine Verbindung dazu her. Dann leert er seinen Pufferspeicher – löst seine Warteschlange auf.« Er fuhr fort, diese Ita-Begriffe in Orth zu übersetzen. Die Warteschlange glich einem Stapel von Blättern, auf denen Mitteilungen standen, die bei jeder sich bietenden Gelegenheit nach Arbre übermittelt wurden. Sie wurden in der Reihenfolge hinabgeschickt, die sie in der Warteschlange einnahmen, wie Kunden, die in einem Laden anstanden.
»Diese Sachen in der Warteschlange sind also beispielsweise die Textmitteilungen, die ich meiner Unterstützungszelle am Boden geschrieben habe?«, fragte ich.
»Wie viele hast du denn geschrieben?«, fragte er mich.
»Vielleicht fünf.«
»Lio?«
»Eher so um die zehn.«
»Osa?« Sammann befragte jeden. Keiner hatte mehr als ein paar Mitteilungen geschrieben. »Die Zahl der Stücke, die sich im Augenblick in der Warteschlange befinden«, verkündete er, »beträgt über vierzehnhundert.«
»Was sind das für Sachen?«, fragte Arsibalt. »Kannst du sie lesen?«
»Nein. Sie sind alle verschlüsselt, und niemand hat es für angebracht
gehalten, mir den Schlüssel zu geben. Die meisten sind ziemlich klein. Wahrscheinlich Textmitteilungen, biomedizinische Daten und damit zusammenhängende Pseudons. Aber manche davon sind mehrere tausend Mal größer. Da ich hier der Einzige bin, der sich mit solchen Sachen auskennt, sage ich euch, was für einen Ita auf der Hand läge – nämlich, dass es sich bei den großen Stücken höchstwahrscheinlich um Ton- und Videoaufnahmen handelt.«
Ich konnte mir dafür eine ganze Reihe von Erklärungen denken, aber Arsibalt stürzte sich sofort auf die dramatischste und, wie ich zugeben musste, wahrscheinlich richtige: »Überwachung!«
Sammann erhob keine Einwände. »In meinen Mußestunden, von denen es viele gibt, habe ich das Verhalten der Warteschlange beobachtet. Die großen Dateien verhalten sich in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Zum einen erhalten sie Priorität vor den kleinen. Das System setzt sie auf die vorderste Position in der Warteschlange, sobald sie erstellt werden. Zum Zweiten scheint die Erstellung dieser Dateien mit dem Anfang und dem Ende von Gesprächen zusammenzufallen. Zum Beispiel habe ich Erasmas vor einer Weile ein Privatgespräch mit Jesry führen sehen, so etwa zwischen 10 Uhr 15 und 10 Uhr 30. Als sich Jesry das nächste Mal ins Retikel eingeklinkt hat, ist in der Warteschlange eine große Datei aufgetaucht, die sofort an die vorderste Position befördert wurde. Zeit der Erstellung: 10 Uhr 17. Zuletzt geändert: 10 Uhr 30.«
»Passiert das bei allen unseren Gesprächen?«, fragte Lio. Und sein Tonfall verriet mir – als hätte ich je daran zweifeln können -, dass ihm das Ganze ebenso neu war wie mir.
»Nein. Nur bei einigen.«
»Ich schlage ein
Weitere Kostenlose Bücher