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Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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aufzustellen, sich über die Terminologie zu einigen und so weiter. Also. Die theorischen Gebilde in der HTW – Dreiecke, Theoreme und andere reine Begriffe – heißen Knoons.«

    »Knoons, kenne ich!«, sagte Lio.
    »Zwischen uns und der HTW besteht eine Beziehung, deren Einzelheiten Gegenstand weiterer Debatten sind und der Halikaarn keinen Namen gegeben hat, aber sie wird von diesem Pfeil symbolisiert, und so hat man ihn schließlich Halikaarnscher Pfeil genannt.«
    »Halikaarnscher Pfeil, kenne ich auch!«
    »Ein Halikaarnscher Pfeil ist ein Einwegkanal für Gegebenheiten über die Knoons. Diese Gegebenheiten gelangen durch einen unzureichend verstandenen Vorgang mit Namen Hyläischer Fluss in den Arbrischen Kausalbereich und treffen dort auf das Halikaarnsche Organ, wodurch sie uns bewusst werden.«
    »Hyläischer Fluss, kenne ich auch!«
    Kriskan war zu dem Schluss gekommen, dass er Lio nicht sonderlich mochte, aber er gab sich sichtlich Mühe, ihn zu tolerieren. Ich drängte Lio beiseite und übernahm die Position des Interlokutors. Lio reagierte melodramatisch, indem er sich auf die Standspur der Straße fallen ließ, als wäre er von einem dahinrasenden Hol angefahren worden. Ich ignorierte ihn. »Also«, sagte ich zu Kriskan, »die Terminologie hätten wir damit geklärt, und was fangen wir jetzt damit an?«
    »Jetzt überspringen wir anderthalb Jahrtausende«, sagte Kriskan, »und reden über den Schritt, den Erasmas und Uthentine gemacht haben, als sie beschlossen festzustellen, was passiert, wenn sie dieses Diagramm als ein besonders einfaches Beispiel eines Gerichteten Azyklischen Graphen oder GAG auffassen. ›Gerichtet‹ bedeutet hier lediglich ›Pfeile sind unidirektional‹. Die nähere Bestimmung ›azyklisch‹ bedeutet, dass die Pfeile keinen Kreis beschreiben können, d. h., wenn wir einen Pfeil von A nach B haben, können wir nicht auch einen Pfeil von B nach A haben.«
    »Warum macht man sich die Mühe, das vorzuschreiben?« »Die Eigenschaft des Azyklischen ist erforderlich, um die grundlegende Lehre des Protismus aufrechtzuerhalten: dass die Knoons unveränderlich sind. Wenn es möglich wäre, dass die Pfeile im Kreis verlaufen, hieße das, dass Ereignisse in unserem Universum Dinge in der Hyläischen Theorischen Welt ändern könnten.«
    »Natürlich«, sagte ich, »Verzeihung, jetzt, da du es erwähnst, liegt es natürlich auf der Hand.«
    »Dieses Diagramm«, sagte Kriskan und lenkte meine Aufmerksamkeit
damit wieder auf die Zeichnung mit den beiden Kästchen, »erscheint einem Metatheoriker einfach falsch.«
    »Was willst du damit sagen, es erscheint ihm einfach falsch? Solche Feststellungen sind doch überhaupt nicht zulässig.«
    »In der Metatheorik ist das ein legitimer Schritt. Man muss sich ständig fragen: ›Warum sind die Dinge so und nicht anders?‹ Und wenn man dieses Diagramm jener Prüfung unterwirft, stößt man sofort auf ein Problem: Es gibt genau zwei Welten. Nicht eine, nicht viele, sondern zwei. Man könnte ein solches Diagramm mit nur einer Welt – dem Arbrischen Kausalbereich – und null Pfeilen zeichnen. Das würde bei Metatheorikern (zumindest solchen, die keine Protisten sind) nur wenige Einwände hervorrufen. Man könnte andererseits aber auch behaupten: ›Es gibt viele Welten‹, und dann Argumente dafür beibringen, warum das plausibel ist. Aber die Aussage: ›Es gibt zwei Welten – und nur zwei!‹ scheint ebenso wenig haltbar wie die Aussage: ›Es gibt genau 173 Welten, und jeder, der behauptet, es gebe nur 172, ist ein Verrückter.‹«
    »Na gut, wenn du es so formulierst, gebe ich dir recht, dass es einen gewissen Beigeschmack von Verrücktheit hat. Wie die Behauptung von Deolatisten, ihre Schrift bestehe aus siebenunddreißig Büchern und jeder, der eine andere Zahl vorschlage, müsse sterben.«
    »Ja, und das erklärt zumindest teilweise, wieso der Protismus mancherorts für Gereiztheit sorgt. Der Schritt von Erasmas und Uthentine besteht also schlicht darin, zu sagen: ›Was für einen GAG zutrifft, müsste auch für einen anderen zutreffen‹, und über andere GAGs mit anderen Anzahlen von Welten nachzudenken.«
    Kriskan nahm seinen Stock wieder zur Hand und kratzte folgendes Diagramm in den Boden:
    »Diesen hier haben sie den Güterzug genannt«, verkündete Kriskan. »In der Güterzugtopologie gibt es eine (möglicherweise unendliche) Vielzahl von Hyläischen Theorischen Welten, die in einer hierarchischen Beziehung zueinander stehen,

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