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Anatomie einer Affäre: Roman

Anatomie einer Affäre: Roman

Titel: Anatomie einer Affäre: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Enright , Hans-Christian Oeser , Petra Kindler
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solches zu erkennen war. Ich hatte nur nicht damit gerechnet. Bis heute träume ich von diesem Haus: wie ich die Stufen hinaufsteige und die Eingangstür öffne.
    Am Tag unseres Einzugs saß Conor zwischen den Kisten, hämmerte wie ein wahnsinniger Organist auf seinen Laptop ein und verfluchte die Internetverbindung. Ich beschwerte mich nicht. Wir brauchten das Geld. In den darauf folgenden Monaten drehte sich alles um die Arbeit, und in dem kleinen Häuschen hatte unsere Liebe etwas Fieberhaftes und Einsames an sich (werd bloß nicht sentimental, weise ich mich zurecht, die Steckdosen in der Wand wackelten jedes Mal, wenn man einen Stecker hineinsteckte). Wir klammerten uns aneinander. Sechs Monate, neun – ich weiß nicht, wie lange diese Phase anhielt. Hypothekenliebe. Vögeln bei 5,3 Prozent Zinsen. Bis wir eines Tages beschlossen, zwei Autokredite aufzunehmen und von dem Geld stattdessen zu heiraten.
    Wrumm wrumm.
    Es war das Unsinnigste, was wir – er oder ich – je getan hatten, und stellte sich als überraschend vergnüglich heraus. Die Hochzeit fand nach viel Aufregung und diplomatischen Zwischenfällen an einem herrlichen Apriltag statt: Kirche, Hotel, Blumengesteck, das ganze Drum und Dran.
     
    Aus Youghal reisten ungefähr siebenhundert von Conors Cousins und Cousinen an. So etwas hatte ich noch nicht erlebt: wie sie Runden ausgaben, vor dem Spiegel ihre kleinen Hüte zurechtrückten und das Gewicht des Hotelbestecks prüften, als sie es in die Hand nahmen, um damit zu essen. Sie behandelten den Tag wie eine berufliche Pflichtveranstaltung und tanzten bis um drei Uhr morgens. Conor meinte, ebenso gut hätte es auch ein Begräbnis sein können – die jagen in Rudeln, sagte er. Und meine Mutter, die, wie sich herausstellte, »schon immer für diesen Tag gespart hatte«, führte eine hochzeitserfahrene Truppe Angehöriger der Dubliner Mittelschicht an, viele davon alt, alle vollkommen glücklich, wie sie schwatzend dasaßen und an ihren seltsamen Drinks nippten: Campari, Whiskey mit roter Limo, Harveys Bristol Cream. Wir waren nur ein Vorwand. Das wussten wir, als wir nach oben gingen, unsere Klamotten von uns schleuderten und einander, an die Schlafzimmertür gepresst, nach Strich und Faden durchfickten. Wir waren nebensächlich. Frei.
    Meine Mutter ist im Fotoalbum (fünfhundert Euro, in cremefarbenes Leder gebunden, jetzt gammelt es unter der Küchentheke in Clonskeagh vor sich hin). Sie trug ein lila-graues Kostüm und, man glaubt es kaum, einen Fascinator-Haarschmuck in Grau und Mauve, samt Gesichtsnetz und diesen albernen schwarzen Federn, die sich nach außen wölben und mit wippenden schwarzen Tupfern verbunden sind. Sie steht neben mir. Winzig. Ihr Haar eine Art Mysterium; hinten hatte sie es irgendwie aufgesteckt. Der Lieblingsfilm meiner Mutter war Begegnung , sie wusste, wie man unter einem Schleier weint. Und für ihre Frisur gab sie immer Geld aus. Selbst wenn sie pleite war, hatte sie eine Art, die Leute davon zu überzeugen, dass es möglich war, sie zu verschönern, und sie taten ihr Bestes. Bei Friseuren zahlt es sich aus, seine Launen daheim zu lassen, sagte sie immer.
    Sie weigerte sich rundheraus, mich zum Altar zu führen, und traf stattdessen eine Vereinbarung mit dem Bruder meines Vaters; einem Mann, den ich, seit ich dreizehn war, nicht mehr gesehen hatte. Ich dachte, wir würden uns wenigstens am Vortag treffen, aber er tauchte erst am Hochzeitsmorgen auf, direkt vom Flughafen, und als alle anderen in der ersten Limousine losfuhren, blieben wir allein im Wohnzimmer zurück und schauten einander an, während der Chauffeur draußen faulenzte.
    Dies war der merkwürdigste Augenblick an einem ohnehin merkwürdigen Tag. Ich stand bibbernd am Fenster, in meinem zinnfarbenen Seidenkleid von Alberta Ferretti, seitlich am Kopf war eine verrückte Kreation von Philip Treacy befestigt (man könnte sie sogar einen Fascinator nennen), und jedes Mal, wenn ich aufbrechen wollte, blickte dieser Typ auf seine dicke Uhr und sagte:
    »Lass sie warten. Du bist die Braut.«
    Schließlich, zu einem mysteriös festgesetzten Zeitpunkt, überquerte er den Wohnzimmerteppich, fasste mich bei den Schultern und sagte: »Weißt du, an wen du mich erinnerst? An meine Mutter. Du hast ihre zauberhaften Augen.«
    Dann bot er mir nach alter Schule den Arm und geleitete mich hinaus zur Limousine.
    War das der gruseligste Moment? Der langsame Marsch zum Traualtar, am Arm dieses alten Knackers, der seinem Aussehen

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