Anatomie einer Affäre: Roman
sie bietet mir einen Chardonnay an.
»Ja«, sage ich. »Ja, danke, liebend gern«, und wir unterhalten uns wie Erwachsene. Das Glas, das sie füllt, hat die Größe eines Schwimmbeckens.
Wenn ich daran denke, könnte ich heulen. Es muss 2002 gewesen sein. Da war ich nun nach drei Wochen Australien zurückgekehrt und war verrückt – richtig verrückt – nach Chardonnay. Meine Nichte Megan muss vier gewesen sein, mein Neffe knapp zwei: entzückende kleine Hosenmätze, die mich anschauen, als warteten sie auf einen Witz. Auch von ihnen sind Freunde da. Überall rennen Kinder herum; schwer zu sagen, wie viele – ich vermute, dass sie die klonen, unten in der Gästetoilette. Immer geht eine Frau mit einem Knirps hinein und nestelt beim Herauskommen an zweien herum.
Ich sitze an der Glaswand zwischen Küche und Garten – es ist wirklich ein hinreißendes Haus – und beobachte das Leben meiner Schwester. Die Mütter drängen sich um den Tisch, auf dem das Essen für die Kinder steht, während die Männer ihre Drinks draußen im Freien schlürfen und himmelwärts spähen, als hielten sie Ausschau nach Regen. Ich komme mit einer Frau ins Gespräch, die neben einem Teller Schoko-Rice-Krispie-Törtchen sitzt und sich gedankenverloren durch sie hindurchfuttert. Bedeckt sind sie mit Minimarshmallows. Eben will sie sich ein Törtchen in den Mund schieben, da weicht sie plötzlich erstaunt zurück.
»Huch, pink!«, sagt sie.
Ich weiß nicht, worauf ich damals gerade wartete. Mein Freund Conor musste jemanden nach Hause gebracht oder abgeholt haben – ich kann mich mehr erinnern, weshalb er noch nicht zurück war. Bestimmt war er mit dem Wagen unterwegs. Gewöhnlich war er derjenige, der fuhr, damit ich etwas trinken konnte. Einer von Conors Vorzügen, muss ich sagen. Dieser Tage fahre ich selbst. Aber auch das ist ein Fortschritt.
Und ich weiß nicht, wieso ich mich an die Schoko-Rice-Krispie-Törtchen erinnere, außer dass mir »Huch, pink!« als das Witzigste vorkam, was ich je gehört hatte, und wir uns vor Lachen nicht mehr einkriegen konnten, ich und die namenlose Nachbarin meiner Schwester – besonders sie wurde von Heiterkeit so geschüttelt, dass nicht zu erkennen war, ob sie sich nun vor Ausgelassenheit oder vor Blinddarmschmerzen krümmte. Mittendrin schien sie von ihrem Stuhl zu rutschen. Sie rollte zur Seite, und ich sah sie lachend an. Dann startete sie ohne Vorwarnung plötzlich durch und stürmte durch die Glastür auf meinen Schwager zu.
Der Jetlag hatte zugeschlagen.
Ich weiß noch, wie eigenartig das war. Diese Frau, die geradewegs auf Shay zuraste, der seelenruhig weitergrillte; das zischende Fleisch, die Flammen; mein Grübeln: »Ist es schon Abend? Wie spät ist es eigentlich?« – während das Schoko-Rice-Krispie-Törtchen auf meinen Lippen starb. Die Frau bückte sich, als wollte sie Shay bei den Schienbeinen packen, doch als sie sich aufrichtete, hielt sie auf einmal ein lebhaftes kleines Kind in den Armen und rief: »Weg da, ist das klar? Weg mit dir!«
Der Junge blickte um sich und nahm den jähen Szenenwechsel mehr oder weniger gleichmütig hin. Drei, vielleicht vier Jahre alt. Sie setzte ihn auf dem Rasen ab und holte zu einer Ohrfeige aus. So schien es mir jedenfalls. Sie hob die Hand gegen ihn und dann plötzlich gegen sich selbst, als wollte sie eine Wespe vor ihrem Gesicht verscheuchen.
»Wie oft muss ich dir das noch sagen?«
Shay reckte den Arm, um eine Dose Bier aufzumachen, das Kind lief davon, und die Frau stand einfach da und fuhr sich mit ihrer unberechenbaren Hand durchs Haar.
Das war die eine Sache. Es gab noch andere. Da war Fiona, mit ihren hektisch geröteten Wangen und den Augen, die unversehens feucht wurden von dem ganzen Trallala des Weineinschenkens, von fröhlichem Gelächter und ihrem Dasein als wunderschöne Mutter Schrägstrich Gastgeberin in ihrem wunderschönen neuen Haus.
Und da war Conor. Mein Liebster. Der sich verspätet hatte.
Es ist 2002, und schon jetzt raucht keiner mehr von diesen Leuten. Ich sitze allein am Küchentisch und halte Ausschau nach jemandem, mit dem ich reden könnte. Die Männer im Garten wirken auch nicht interessanter als zum Zeitpunkt meiner Ankunft – in ihren kurzärmeligen Hemden und ihren Hosen, die »Wir sind Freizeithosen« schreien. Ich komme gerade aus Australien. Mir fallen die Typen ein, die man zur Mittagszeit am Hafen von Sydney entlanglaufen sieht: eine endlose Reihe joggender Männer, fit und gebräunt, Männer,
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