Anatomie Einer Nacht
wie es sich beim Streicheln, Drücken und Kneifen verformt, wie es größer wird, als Per seine Hose öffnet und seinen Schwanz herausholt, und wie es hin- und herspringt, als er ihn massieren muss, weil er nicht steif wird, und sie beobachtet, wie es langsam mit der Nacht verschmilzt, als sie ihn sagen hört, heute nicht, kann ich trotzdem, du weißt schon, mein Geld?, und sie erst dann versteht, sich hastig anzieht, und noch während er sich in der Dunkelheit versteckt hält und wartet, mit abgewandtem Gesicht, als stünde er zur Strafe in der Ecke, davonläuft, so schnell sie kann.
00:00 – 01:00
1 Die Nacht speichert Mikileraqs Bewegungen, sie setzen sich in der Luft fest und sind für einen kurzen Moment im Schein der Straßenlaterne als unterbrochene Kurven, Spiralen sichtbar.
Per folgt ihr. Er ruft nicht, sondern läuft hinter ihr her, denn er weiß, dass ihre Spur schnell erkalten wird, und er ertappt sich bei dem Gedanken, dass heute Nacht er der Jäger ist und nicht der Gejagte wie damals, als er durch die Täler und am Ufer des Fjords entlang über die Eisfelder fliehen musste, so schnell er konnte, weil er von dem Mann verfolgt wurde, der ihm zum ersten Mal in seinem Leben ein Heim gegeben hatte –
und mit einem Mal wurde seine Geschwindigkeit so groß, dass er auf Luft lief, die Wolken erreichte, die Sterne und das Polarlicht, und er musste die Wolken umlaufen, den Mond und die Sterne, und er rannte und rannte, aber schließlich war die Jagd zu Ende, der Stiefvater fing ihn ein und verprügelte ihn mit den Fäusten und mit einem Stein, nach dem er im Kampf griff, und Per konnte sich nur schützen, indem er seine Hände vor das Gesicht hielt, ehe er zu Boden fiel.
In diesem Augenblick macht sich in Per die Gewissheit breit, dass er Mikileraq nicht einholen kann, dass er sie nie einholen wird, sie lebt in einer anderen Welt. Vielleicht ist es diese Unmöglichkeit, die ihn die Schwärze und den letzten Lichtschimmer schlucken lässt, vielleicht ist es das Wissen, die Sehnsucht nach einem Leben auf der Erde verloren zu haben, das Gestrandetsein am Himmel somit die Erfüllung eines Wunsches –
er bleibt stehen und überlässt sich der Nacht, die sich in ihn gräbt, er spürt, wie sie sich vorarbeitet, ihn Stück für Stück abträgt, und die Leere, die er fühlt, ist angenehm, weil sie mit einer Rettung verbunden ist: der Rettung vor der Gemeinschaft, in der Vereinzelung verachtet wird, in der der Einzelgänger, der Verweigerer des Kollektivs, nicht wieder aufgenommen wird, für immer ein Aussätziger bleibt. Lediglich nachts gibt es das Vereinzelte und den Einzelnen, die Nacht ist ein Zufluchtsort für Heimatlose, ein Niemandsland, grenzenlos weit, mit Verstecken, in denen der Mensch nicht verformt, angepasst wird, und jeder ist hier willkommen, der Anschluss sucht, auch Per –
und er glaubt sich zum ersten Mal wirklich frei. Die Freiheit, die er kannte, war eine Art Betäubung; die Bedingung der wahren Freiheit ist vollkommene Isolation. Sie ist, denkt Per, auch die Bedingung für Glück.
Magnus bindet den Gürtel seines Bademantels am unteren Bettpfosten fest und sieht Ole herausfordernd an, dieser schüttelt den Kopf, er habe nichts anderes finden können, und zieht aus der Hosentasche ein Geschirrtuch hervor, das an den Seiten abgerissen ist, so dass es aussieht wie ein ausgefranster Strick. Er legt es um seinen Hals, die Enden lassen sich gerade noch verknoten.
Zu kurz.
Magnus sieht auf die Uhr, es ist nach Mitternacht, und plötzlich, als liefe er Gefahr, sich zu verspäten, springt er auf, stürzt zum Kleiderschrank, reißt die Türen auf, so dass das Möbel wackelt, und wühlt im Inneren, zieht die Kleider von den Bügeln und verstreut sie im ganzen Raum: Es schneit Blusen, Röcke, Hosen und Pullover, ein Geruch haftet an ihnen, von dem sich Magnus einbildet, er könne ihn als den seiner Mutter identifizieren –
genauso wie er glaubt, sich an ihr Gesicht, an ihre Stimme erinnern zu können, obwohl sie verschwand, als er zwei Jahre alt war, und er sie ausschließlich von Fotografien kennt, aber er klammert sich an diese Einbildung, als könnte sie ihn aus einem Alltag herausziehen, der immer enger wird.
Ole, erschrocken über Magnus’ Eifer, weicht an den Rand des Bettes zurück, berührt dabei den Gürtel, den roten Frotteestoff, blutrot, wie ihm scheint, und rückt schnell wieder auf die andere Seite, und ihm kommen Zweifel, vielleicht konnte er nichts Passendes finden, weil
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