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Anatomie

Anatomie

Titel: Anatomie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bass jefferson
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schob zwei Finger in einen schmalen, senkrechten Spalt in der Wand. Stöhnend hievte er sich auf die Kiste, wobei die Zehen seiner Wanderstiefel auf Vorsprüngen Halt fanden, die ich nicht mal gesehen hatte. Sobald er beide Füße auf dem Beweismittelsicherungs-Set hatte, zog er die Finger aus dem Riss, griff dreißig Zentimeter höher und schob die ganze rechte Hand in den Spalt. Zuerst suchte der eine Fuß einen Ansatzpunkt an der Wand und dann der andere. Art musste sich ziemlich verrenken. Plötzlich rutschte seine linke Hand ab, und er schlug gegen die Wand und baumelte an der rechten Hand, die immer noch fest in dem Spalt steckte. Er schrie auf vor Schmerz, und seine Füße kratzten verzweifelt über den Fels. Instinktiv kletterte ich auf die Felsplatte, packte seine Stiefel und drückte ihn mit aller Kraft hoch. Quälend langsam schoben sich seine Stiefel an meiner Brust und dann an meinen Schultern vorbei, und schließlich stand ich mit ausgestreckten Armen da, am ganzen Körper zitternd vor Anstrengung. Gerade als ich keuchend eine Warnung ausstoßen wollte, weil meine Kräfte nachließen, spürte ich meine Last leichter werden, und dann war er weg, und ich sah seine Beine noch durch die Öffnung im Dach der Grotte verschwinden.
    Ich wartete, dass er wieder auftauchte, und als er das nach wenigen Augenblicken nicht tat, spürte ich, wie die Panik wieder in mir aufstieg. Schließlich schob er doch noch den Kopf durch die Öffnung. »Verdammt, das war hart. Danke dir für deine Hilfe. Eine Minute lang dachte ich, meine Hand bliebe da oben allein zurück.«
    Ich keuchte noch, teils von der Anstrengung, teils vor Angst. »Kein Problem. Sieht es irgendwie ermutigend aus da oben?«
    »Komm rauf und schau’s dir an.«
    Ich besah mir die Felswand. »Zum Teufel, Art, ich kann da nicht raufklettern. Unglaublich, dass du das geschafft hast.«
    »Meine Frau hat mir letztes Jahr zu Weihnachten einen Gutschein für einen Kletterkurs geschenkt. Ich glaube, sie hat gehofft, ich würde mich so richtig dafür begeistern und dann mal irgendwo abstürzen.«
    »Na, wenn da oben keine Leiter ist, die du mir runterreichen kannst – oder wenn du nicht die Plätze tauschen und mich hochhieven willst –, musst du ohne mich weitergehen.«
    »Und dieses siegreiche Team trennen? Auf keinen Fall. Wie ist dein Hüftumfang?«
    »Sechsundachtzig Zentimeter. Na ja, inzwischen wohl eher um die neunzig. Was soll das …«
    Mir dämmerte, worauf er hinauswollte. »Wie wär’s mit deinem, du dünne Latte?«
    »Geht dich nichts an. Aber wirf mir deinen Gürtel hoch, und dann schauen wir mal, ob wir zusammen dick genug sind.« Ich zog meinen Ledergürtel aus, schloss ihn wieder zu einer Schlaufe und warf ihn hinauf. Art fing ihn auf und verschwand. Als er wieder auftauchte, hatte er das gelochte Ende meines Gürtels an der Schnalle seines Gürtels befestigt und ließ das eine Ende der miteinander verbundenen Gürtel zu mir herunter. Zusammen waren sie gut einen Meter achtzig lang. »Hoffen wir, dass die Schnalle hält«, sagte er. »Die Niete sieht ziemlich kräftig aus, aber das tust du schließlich auch.«
    Art saß am Rand der kreisrunden Öffnung, die Füße an die gegenüberliegende Seite gestemmt. Er wickelte sich eine Lederschlaufe um ein Handgelenk und packte den Gürtel mit beiden Händen. »Versuch, mit den Füßen Halt zu finden«, sagte er. »Ich weiß nicht, ob ich dich ohne Unterstützung hochziehen kann.« Ich nickte und kletterte auf das Beweismittelsicherungs-Set. Auf den Zehenspitzen bekam ich gerade so viel von dem Gürtel zu fassen, dass ich ihn mir – genau wie Art – einmal ums Handgelenk schlingen konnte. Er nickte. »Bereit?«
    »Bereit. Nein, warte. Sollten wir nicht den Koffer mitnehmen?«
    Er überlegte. »Wir haben im Augenblick größere Probleme, als Beweismittel zu sichern. Abgesehen davon glaube ich nicht, dass das geht – du wirst beide Hände brauchen, um hochzukommen.«
    »Ja, aber vielleicht müssen wir uns noch mal draufstellen. Du hast wirklich Glück, dass du mit einem Dr. phil. zusammen eingesperrt bist.« Ich stieg von dem Koffer herunter, bückte mich und löste die Schuhriemen meiner Wanderstiefel. Zusammengeknotet ergaben die beiden Schnürsenkel eine Schnur von gut drei Metern. Das eine Ende knotete ich am Griff des Koffers fest, das andere verschnürte ich an meinem Knöchel. Dann stieg ich wieder auf den Koffer, steckte die Taschenlampe in meine Tasche und griff wieder nach dem Gürtel.

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