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Anatomie

Anatomie

Titel: Anatomie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bass jefferson
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zum Eingang der Höhle. Genau wie ich erwartet hatte, war im Staub neben der Quelle ein frisches Paar Stiefelabdrücke. Sie führten in den Eingang der Höhle und verschwanden unter den frisch herabgestürzten Felsbrocken.
    »Heureka«, sagte Art, kniete sich hin und machte sich daran, von dem deutlichsten der vielen Abdrücke einen Abguss zu machen. »Kommt dir der bekannt vor?« Das nicht, aber es konnte durchaus ein bekanntes Paar Füße in einem unbekannten Paar Stiefel gewesen sein.
    Ich sah mich um. Soweit ich sagen konnte, führte die Spur in die Höhle, aber nicht mehr heraus. »Glaubst du, er ist noch da drin? Ist bei seiner eigenen Sprengung draufgegangen?«
    Art zuckte die Achseln. »Vielleicht. Ich hoff’s fast. Aber vielleicht ist er auch zur Hintertür raus, bevor er die zweite Sprengung gezündet hat. Vielleicht kommt er auch auf demselben Weg raus wie wir.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht. Wenn er mit uns da drin gewesen wäre, hätte er uns doch gesucht. Wer Sprengstoff mit sich führt, hat bestimmt auch eine Waffe. Er hätte uns erschossen, bevor wir aus der Grotte klettern konnten. Was ich aber einfach nicht kapiere, ist, warum er uns nicht direkt erschossen hat.«
    »Zu verdächtig. Der Einsturz wäre vielleicht als Unfall durchgegangen. Einschusslöcher sind schwerer zu erklären – die könnten leicht einen wütenden Haufen Professoren von der University of Tennessee auf den Plan rufen, die zur Bürgerwehr formiert auf Rache aus sind. Aber wenn der Plan mit dem Einsturz der Höhle funktioniert hätte, wären unsere Leichen jetzt womöglich unter hundert Tonnen Felsbrocken begraben. Dann würden wir als ›vermisst, vermutlich tot‹ gelten oder so was in der Art.« Ich begriff allmählich, welchen Ruf Cooke County unter meinen Kollegen von der Strafverfolgungsbehörde genoss. »Hey, willst du deine Schnürsenkel wiederhaben? Oder gefällt dir die Bewegungsfreiheit, die du genießt, wenn deine Füße in den Stiefeln herumrutschen?«
    Das hatte ich glatt vergessen. Ich nahm die Schnürsenkel, hockte mich auf die hintere Stoßstange meines Pick-ups und fädelte sie wieder in meine Stiefel. Als ich sie band, warf ich noch einmal einen Blick auf das gemauerte Schild vor der Kirche, und dort sah ich etwas, was mir vorher nicht aufgefallen war. Unter dem Namen der Kirche stand eine Zeile, die so verblasst war, dass man sie kaum lesen konnte. Ich rief Art und zeigte darauf. Über meine Schulter hörte ich seinen leisen erstaunten Pfiff.
    »Hol mich doch der Teufel«, sagte ich.
    »Könnte passieren«, stimmte er mir zu. »Aber ich glaube, da wärst du nicht der Einzige. Wahrscheinlich leistet dir da unten der eine oder andere Kitchings am Feuer Gesellschaft.«
    Die blassrote Zeile lautete, »Thomas Kitchings, Sr. Pfarrer«.

26
    Der Schädel schaukelte mit jedem Schritt leicht vor und zurück. Ich hatte das Hinterhauptsbein auf ein beißringförmiges Kissen gebettet und den Karton seitlich mit Noppenfolie ausgelegt, sodass ich mir keine Sorgen um eventuelle Beschädigungen machen musste und die Bewegung kaum beachtete. Trotzdem erwischte ich mich dabei, dass ich die leichten rhythmischen Stöße zählte wie das Klicken eines makabren Schrittzählers. Also, das wäre doch eine Idee zum Geldscheffeln, dachte ich, das Brockton Schädelometer – das perfekte Geschenk für den forensischen Anthropologen, der schon alles hat. Andere absurde Werbeslogans schossen mir durch den Kopf: »Zwei Köpfe sind besser als einer.«
    »Ein Geschenk, an dem man lange Freude hat – während der ganzen ausgedehnten Leichenliegezeit.«
    Normalerweise nehme ich kein Knochenmaterial von ungelösten forensischen Fällen mit in die Vorlesung, aber heute – frisch der Höhle entstiegen, in der Leena bestattet gewesen war und die mich beinahe unter sich begraben hätte – konnte ich an nichts anderes denken als an die Frau aus Cooke County. Ich zählte die Stöße in der Schachtel und hoffte, dass neue Erkenntnisse aufblitzen würden, wenn ich den Fall in der Vorlesung durchging.
    Als ich den Hörsaal betrat, war er fast bis zum letzten Platz besetzt, obwohl es bis zum Beginn der Vorlesung noch einige Minuten waren. Eine Studentin saß an diesem Morgen jedoch nicht auf ihrem gewohnten Platz: Sarah Carmichael. Der Mut verließ mich. Ich hatte gehofft, wir könnten so tun, als wäre an jenem Abend in meinem Büro nichts passiert. Im Grunde hoffte ich sogar, ich hätte das alles nur geträumt, obwohl ich genau

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