Ancient BladesDie Metropole der Diebe
halbe Stinkviertel und dann weiter die ganze Strecke bis zur grünen Stadtwiese im Gartenmauerviertel erstreckte. Eine endlose Reihe eiserner Speerspitzen ragte aus den Schlusssteinen hervor, und Malden wand sich daran vorbei. Ein falscher Schritt, und er hätte sich aufgespießt, aber der Dieb tat nie einen falschen Schritt.
Als er das Ende der Mauer erreicht hatte, ging er in die Hocke und spähte in die Dunkelheit hinein. Der Himmel war bewölkt, und Nebelschwaden strichen über das Gras des weiläufigen Platzes, auf dem ein paar verirrte Schafe im Stehen schliefen. Etwa dreihundert Fuß weiter zog sich ein hoher Zaun um ein großes Herrenhaus. Der Stadtteil Gartenmauer war für seine eingezäunten Häuser bekannt. Sie gehörten Bürgern, die einerseits reich genug waren, um sich solche Anwesen leisten zu können, andererseits aber auch bereit waren, so weit entfernt vom übervölkerten Kaufmannsviertel des Goldenen Hügels zu leben. Dieses Haus war das größte von allen: ein massives, drei Stockwerke hohes Gebäude aus weißem Stein voller Giebel und Strebewerk mit Pfeilern und Bogen. Breite Fenster aus klarem, glattem und teurem Glas durchbrachen an unzähligen Stellen die Wände, und an der Vorderseite prunkte ein zwanzig Fuß breites Rosenfenster mit kabbalistischen Symbolen, dessen Buntglas vermulich kaum zu bezahlen gewesen war. Das Haus ähnelte eher einer Kahedrale, wie Malden fand, allerdings fehlten dazu die nötigen Türme.
Kleinere Gebäude drängten sich im Vorgarten, während sich hinter dem Haus ein breiter und makellos gepflegter Garten mit Springbrunnen und zurechtgeschnittenen Hecken erstreckte. Keine Mauer umgab diese Anlage, sondern ein simpler Zaun aus Eisenstangen, deren Spitzen jeden Eindringling vom Versuch abhalten sollten, in den Garten einsteigen zu wollen. Der Zaun wirkte beeindruckend, aber die Sicherheit, die er bot, hätte Malden zum Lachen gereizt (hätte er nicht versucht, sich still wie eine Maus zu verhalten). Jeder Junge und selbst ein schlanker Mann hätten sich zwischen zwei Stäben hindurchzwängen können.
Natürlich war Malden kein Narr. Er wusste genau, wem das Haus gehörte und dass der Zaun vermulich der harmloseste Teil seines Sicherheitssystems war. Der Besitzer war Hazoh, der einzige Zauberer in der Freien Stadt Ness mit echter Macht. Malden kannte Hazohs Ruf – in der Stadt drohte man unartigen Kindern oft mit einem Besuch des Magiers, und selbst manche Erwachsene benutzten seinen Namen als Fluch. Obwohl man ihn als einen der führenden Bürger ansah (für diesen Status benötigte man lediglich genügend Gold), lebte Hazoh wie ein Einsiedler, der das Haus nur zu wichtigen öffenlichen Veranstaltungen verließ. Natürlich erregte eine derartige Gestalt eine gewisse Aufmerksamkeit und schürte den Aberglauben, und dieser Ruf war wohl ein Dutzend Mauern, Burggräben und Palisaden wert. Ob Hazoh nun so mächtig war, wie ihn die Legenden schilderten, oder nicht – kein Dieb mit ausgeprägtem Überlebensinstinkt hätte es gewagt, die Blicke dieses Mannes auf sich zu lenken.
Den Besitz eines Zauberers unbefugt zu betreten, kam im Grunde einem Selbstmord gleich. Niemand vermochte zu sagen, mit welchem schrecklichen Fluch Hazoh einen Eindringling belegte. Möglicherweise verwandelte er Eingeweide in Wasser oder ließ mit einer simplen Handbewegung die Augen in ihren Höhlen platzen. Kein Arzt konnte eine derartige Verletzung heilen, und er würde auch niemandem helfen – aus Furcht, ein ähnliches Schicksal zu erleiden.
Nur ein Narr würde Hazoh in seinem Haus belästigen.
Und selbst wenn man die Bedrohung durch Magie einmal vergaß, Malden hatte Augen im Kopf, die ihm zeigten, dass im Garten hinter dem Haus bewaffnete Wachen patrouillierten. Sie leuchteten mit hellen Laternen in die Ecken der Ställe und der Küche und hielten nach Eindringlingen Ausschau, die es wagten, sich durch den Zaun zu zwängen.
In hundert Jahren hätte sich Malden diesem Haus nicht genähert – hätte er dafür nicht gute Gründe gehabt. Seine Nachforschungen hatten ergeben, dass hier Bikker zu finden war, und damit vermulich auch Cyhera. Das ließ nur einen Schluss zu. Hazoh war sein eigenlicher Auftraggeber. Es konnte nur Hazoh gewesen sein, der Cyhera und Bikker befohlen hatte, die Krone zu besorgen. Aber warum im Namen des Blutgotts wollte ein Zauberer diese Krone haben? Offensichlich war sie verzaubert. Gewöhnliche Kronen sprachen nicht. Vielleicht, dachte Malden, wollte der
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