Ancient BladesDie Metropole der Diebe
sehen. Wie groß du doch geworden bist. Komm rein, komm rein!«
Aufgrund ihres Alters hatte Elody die Stellung der Puffmutter inne, und sie wusste mehr über Gastfreundschaft als jeder Stallknecht. Sie ließ zu, dass er ihren wabbeligen Arm ergriff, und führte ihn hinaus in den Garten auf dem Hof, der dem Haus seinen Namen verlieh. Ein einzelner verkümmerter Zitronenbaum schwankte über dichten Schichten frisch gestreuten Strohs. Hier bedienten die Zweipfennighuren ihre Kunden – die Pfennigweiber (die manchmal auch als Standweiber bezeichnet wurden) machten sich nie die Mühe, sich auf den Rücken zu legen. In den oberen Räumen, die statt Türen Vorhänge hatten, konnten sich finanzkräftigere Freier von Mädchen bedienen lassen, die sich entweder als Jungfrauen ausgaben (was sehr unwahrscheinlich war) oder ihre besonderen Fertigkeiten anpriesen, die eine breite Palette einnahmen.
Man führte Malden unter den Baum und sorgte für ein Lager aus Kissen und einen Becher Glühwein. Das Gebräu schmeckte nicht besonders gut, aber er tat so, als nähme er kleine Schlucke, um seiner Gastgeberin eine Freude zu machen. Sie lächelte, kümmerte sich rührend um ihn und stellte eine Million unbedeutender Fragen über sein Leben nach dem Verlassen des Hauses seiner Mutter. Er beantwortete sie lediglich ausweichend oder mit Lügen – Elody wusste ganz genau, womit er seinen Lebensunterhalt verdiente, und hätte niemals konkrete Auskünfte verlangt.
Der gleiche Empfang wäre ihm in jedem Bordell zwischen dem Goldenen Hügel und der Stadtmauer zuteil geworden. Zu Lebzeiten seiner Mutter hatte eine seiner Aufgaben darin bestanden, Botengänge zu den verschiedenen Hurenhäusern zu machen, und er hatte frühzeitig gelernt, dass die Dirnen über drei Talente verfügten, die anderen Frauen fehlten. Eine dieser Begabungen bestand darin, dass sie zusammenhielten; eine andere, dass sie sich um ihresgleichen kümmerten. Das mussten sie auch – selbst nach den liberalen Maßstäben der Freien Stadt Ness stand eine Frau, die anschaffen ging, auf der alleruntersten Sprosse der gesellschaflichen Leiter. Hatten die Dirnen Probleme, taten sie sich zusammen, um sie zu lösen, denn kein anständiger Bürger hätte sich jemals herabgelassen, ihnen zu helfen. Die Kinder von Huren behandelte man unter ihresgleichen wie Prinzessinnen und Prinzen – denn außerhalb der Bordellmauern erging es ihnen schlimmer als Vieh.
»Es ist so lange her«, sagte Elody und zupfte an einer Locke. Das Henna, das sie zum Färben benutzte, machte ihr Haar dünn und brüchig, aber sie konnte einfach nicht aufhören, damit zu spielen. »Warum hast du uns nicht längst schon einmal besucht?«
Malden lächelte sie an, enhielt sich aber jeder Antwort. Als er zu alt geworden war, um verhätschelt zu werden, hatte ihn die vorherige Puffmutter auf die Straße gesetzt. Sie war dabei nicht unfreundlich gewesen, aber dennoch energisch. Das Haus, das in seiner Kindheit sein einziges Zuhause gewesen war, hatte ihn plötzlich als Körnchen zwischen seinen metaphorischen Zähnen betrachtet und ohne großes Aufheben auf die Straßen von Ness gespuckt. Aber er konnte sich noch immer an die Gesichter von Elody und den anderen »Mädchen« an diesem Tag erinnern. Sie hatten damit gerungen, sich nicht das geringste Mileid mit ihm anmerken zu lassen. Und sie hatten es geschafft. Während Malden danach versucht hatte, eine ehrliche Arbeit zu finden – um dann die Verbrecherlaufbahn einzuschlagen –, hatte er sich geschworen, niemals zurückzukehren.
Aber nachdem er jetzt erlebt hatte, wie Elody ihn begrüßte, wurde ihm klar, welch ein Narr er doch gewesen war. Die Puffmutter tätschelte seine Hand und ignorierte sein Schweigen. Stattdessen füllte sie es selbst mit Worten. »Ich muss dir unbedingt erzählen, was alles so passiert ist. Wenna hat ihr Kind, ein hübsches kleines Ding, und Gildie hat ihre Versprechen tatsächlich alle wahr gemacht und ihren Vertrag zurückgekauft. Sie lebt mit einem Holzschnitzer zusammen und ist eine anständige Frau geworden. Dabei war sie die Ordinärste von allen, wie du dich zweifellos erinnerst.«
»Wirklich? Ich habe das immer nur für Prahlerei gehalten.«
Elody lachte. »Heutzutage verharrt nichts lange im Stillstand. Selbst alte Schachteln wie ich können sich noch verändern, wenn der Wind weht. Ach, und weißt du schon das Neueste? Es war heute in aller Munde. Der Turm des Burggrafen ist eingestürzt. Das erscheint wie ein Wunder,
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