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Andere tun es doch auch (German Edition)

Andere tun es doch auch (German Edition)

Titel: Andere tun es doch auch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Sachau
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kennen, hat er noch keinen einzigen öden Satz gesagt. Und er lässt mich sogar mit seinem komischen Schuhfimmel in Ruhe. Er hat Spaß an seiner schwarz-braunen Treterarmee, aber damit ist es auch gut. Er redet niemandem einen Schuh ans Ohr, den es nicht interessiert.
    Aber wenn ich etwas sage, hört er richtig zu. Selbst wenn es um meine Lieblingsfilme geht und ich meinen Laberflash kriege. Bei Adrian erscheinen dann immer spätestens nach einer Minute »Bin verreist«-Schilder in den Augen. Ist natürlich kein Charakterfehler, dass der Kerl sich nicht für das gleiche Zeug interessiert wie ich, aber auf Dauer ist das doch irgendwie Mist. Und Kai ist eben offen. Er hat zwar keine Ahnung von Film, aber genau das macht es fast noch schöner, ihm was zu erzählen. Er hört zu. Und ich bin mir sicher, dass das nicht nur jetzt, sondern auch in zehn Jahren noch so sein wird.
    Sein wird? In zehn Jahren?
    Oh Mann.
    K AI    Wie lange wird es gehen mit Lara? Ein Jahr? Drei Jahre? Vier Jahre? Ich wollte, ich wäre mir nicht so sicher, dass wir uns wieder auseinanderleben. Ich wollte allerdings noch mehr, dass ich sicher sein kann, dass sie überhaupt will. Ich denke in jeder freien Minute an sie. Ihre Haare, ihr Gesicht, ihr Duft und natürlich ihre wunderbaren weichen Lippen, die auf meinen getanzt haben, dass Villons Erdbeermundgedicht dagegen fade Soße ist. Aber kann es sein, dass es für sie nur ein peinlicher Ausrutscher war? Ich will gar nicht dran denken. Soll ich sie anrufen? Eine SMS ? Nein, jetzt nicht. Wir sind gleich da.
    Das Verteidigungsministerium liegt an der Stauffenbergstraße. Für mich einmal quer durch die halbe Stadt, für Großonkel Karl aber nur ein paar Straßen von seinem Altersheim entfernt. Eigentlich ein Wunder, dass ein durchgeknallter Pazifist wie er noch nicht früher auf die Idee gekommen ist, vor diesem Bau Rabatz zu machen.
    Weil ich mich der Bescherung vorsichtig von der Seite annähern will, habe ich mich vom Taxi am Reichpietschufer absetzen lassen. Lange bevor ich die Stauffenbergstraße erreicht habe, höre ich schon sehr deutlich das » HUMP ! HUMP ! HUMP !« von Karls Basstuba. Dieser Sound überwindet ohne weiteres einen halben Kilometer. Hat schon seinen Grund, warum das Instrument das Rückgrat aller Blaskapellen ist. Allerdings merkt man sofort, dass es nicht Onkel Karls Stamminstrument ist. Oder liegt es daran, dass er schon so lange spielt und erschöpft ist? Eigentlich ist er so etwas wie ein Profi. Nach seinem ersten psychischen Zusammenbruch in den 60er Jahren hat er seinen gelernten Beruf als Bilanzbuchhalter aufgegeben, sich eine Hammondorgel gekauft und sich seitdem als Alleinunterhalter durchgeschlagen. Die wackeligen Töne, die er da von sich gibt, dürften seinen professionellen Ansprüchen kaum genügen. Aber hier geht es ja nicht um Perfektion, hier geht es ums Prinzip. Oder so was Ähnliches. Er wird es mir gleich sagen.
    Jetzt sehe ich ihn. Trotz seines stattlichen Alters ist er immer noch ein Bär von einem Mann. Eins neunzig groß, aufrechter Gang, gepflegter dunkelgrauer Vollbart und riesige Hände. Er läuft mit seinem Monstrum von Blasinstrument gemessenen Schrittes im Kreis und bläst dabei unermüdlich die deutsche Nationalhymne. In abgrundtiefen Basstönen. Und, sehr subversiv, in Moll. Direkt vor dem Haupteingang des Verteidigungsministeriums.
    Ratlos dreinschauende Sicherheitskräfte haben sich so aufgestellt, dass sie ihn jederzeit mit drei Schritten erreichen und in Grund und Boden stampfen könnten. Man sieht ihren Gesichtern an, dass sie es für nicht geklärt halten, ob nicht eine Bombe in dem tutenden Riesenkolben versteckt ist. Eine beträchtliche Ansammlung von Touristen steht ebenfalls herum. Immer wieder will sich jemand mit dem tubaspielenden Großonkel Karl fotografieren lassen, aber der weigert sich konsequent anzuhalten, auch nicht für Geld. Hin und wieder kommen Pressefotografen und lichten ihn ab. Weil Großonkel Karl aber kein Transparent mit irgendeiner politischen Botschaft mit sich herumträgt, werden es diese Bilder wohl eher nicht auf die Titelseiten schaffen. Hoffe ich jedenfalls.
    Ich warte ab, bis die Strophe zu Ende ist, und gehe lächelnd auf ihn zu. Meine Fröhlichkeit ist nicht gespielt, irgendwie finde ich den alten Kauz ja auch genial.
    »Hi, Onkel Karl.«
    Er zögert kurz, setzt dann aber tatsächlich das gigantische Tieftongerät ab. Ich sehe auf den ersten Blick, lange hätte er ohnehin nicht mehr

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