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Andere tun es doch auch (German Edition)

Andere tun es doch auch (German Edition)

Titel: Andere tun es doch auch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Sachau
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mehr.«
    »Ich mache mir Sorgen um dich. Du solltest essen, du bist wirklich sehr … schlank.«
    Das ist die Wahrheit. Bohnenstangen vergleichen ihre Freunde mit Joan. Wenigstens gerät das Gespräch so endlich auf die richtige Spur. Die Worte, die Joan mit Abstand am meisten schätzt, sind Worte, die in irgendeiner Form Bewunderung oder Bedauern enthalten. Nicht dass sie jetzt lächeln würde, aber schon allein dass sie aufhört, mich weiter mit ihrer Splitter-Horrorgeschichte zu foltern, ist ein Zeichen dafür, dass sich ihre Laune hebt. Meine Chance. Jetzt nicht lockerlassen. Ich bewundere-bedauere sie am Stück dafür, dass sie es durchhält, Tag für Tag auf so einem miesen Drecksbürostuhl zu sitzen, ihre Arbeit an so einer Schrottmühle von Computer zu erledigen, Kopfschmerzen von Alyssas Kichern zu kriegen, unter Jochens schlechten Manieren zu leiden, mit Abstand die meiste Arbeit im Büro zu machen und dazu auch noch Kaffee aus einer Espresso-Maschine trinken zu müssen, die nicht aus Italien kommt. Es ist ja kein Wunder, dass sie dabei dauernd krank wird.
    Sie nickt mit leuchtenden Augen und isst Stücke von meinem Zürcher Geschnetzeltem, die ich ihr nebenbei immer wieder dezent auf ihren leeren Salatteller hieve. Ich bin auf der Zielgeraden.
    »Meine größte Sorge ist aber das Löwenstein-Projekt, Joan. Du weißt, dass es nächsten Montag losgeht. Das wird eine Anruflawine, sag ich dir, nur eine richtig, richtig gute Sekr…, ähm, Büromanagerin kann so etwas in den Griff bekommen. Dafür braucht man Erfahrung, Ruhe, Instinkt, Souveränität, Feingefühl. Jedes Mal, wenn du den Hörer in die Hand nimmst, nimmst du Verantwortung in die Hand. Die Zukunft des Büros steht und fällt mit den Bleudkinon-Aufträgen. Ich weiß, was für eine Belastung …«
    Tiritt-tiritt-tiritt!
    Ein Anruf. Perfekt. Wenn ich den jetzt mit verächtlicher Geste wegdrücke, ist Joan endgültig … Oh nein, ich kann ihn nicht wegdrücken, es ist …
    »Entschuldige bitte vielmals, Joan, das ist sehr wichtig.«
    L ARA    Er nimmt ab. Nein, sag es bitte nicht.
    »Hallooo, Butzi!«
    Über meinen Kosenamen diskutieren? Nicht heute.
    »Hallo Adrian, na, wie gehts?«
    »Prächtig! Es ist ganz wundervoll hier.«
    »Oh, aha. Also, ich wollte nochmal sagen, das tut mir echt leid, dass ich gestern Abend keine Zeit gehabt habe. Tja, und außerdem wollte ich noch sagen … Also, ja, es tut mir, wie gesagt, leid. Hm.«
    »Ach, das macht doch nichts.«
    Warum muss er so nett sein? Wie soll ich ihm nun sagen, dass …?
    »Weißt du, Butzi, war am Ende ganz gut so. Ich hätte gestern nämlich gar nicht gekonnt. Ich musste für einen Kollegen einspringen. Der hatte einen dicken Auftrag für ein Manager-Adventure-Teambuilding im Elbsandsteingebirge und ist krank geworden. Tja, und da habe ich abends noch schnell mit Michelle das Zeug in den Four-Wheel gepackt und bin gleich los. Und jetzt stehe ich gerade hundert Meter unter dem Kniefelhorn, wir haben strahlend blauen Himmel und einen Blick, der macht einen einfach sprachlos.«
    Wie jetzt? Er war mit mir verabredet und hat dann einfach was anderes unternommen? Sich einfach mit seinem Küken Michelle aus dem Staub gemacht, um das nächste Bürohengst-Kraxel-Sozialevent zu schmeißen. Wie finde ich denn das?
    »Weißt du, Butzi, hier schaust du in die Ferne und hast keine Worte mehr, nur noch diese tiefe Ruhe, die deine Seele bis an den obersten Rand ausfüllt und alles Reden so überflüssig und klein erscheinen lässt. Dieses ganze Zeug, was unser Mund dauernd raussabbelt, wer braucht das eigentlich? Solche Dinge frage ich mich in solchen Momenten, verstehst du? Es wird viel zu viel gesprochen auf unserer Welt und viel zu wenig gefühlt. Wir reden uns in tiefe, dumpfe Gräber hinein. Wir errichten Mauern des Quasselns um uns herum und glauben, wir würden sie brauchen. Was für ein Unsinn! Wenn wir uns alle darauf verständigen würden, mit so wenig Worten wie möglich auszukommen, kannst du dir vorstellen, was für ein Frieden das auf einmal wäre? Wenn wir uns von dieser Sucht zu reden befreien könnten, was wir auf einmal alles erkennen würden? Die wichtigen Dinge im Leben brauchen keine Worte und Sätze. Worte und Sätze verbarrikadieren die Wege zum Herzen. Dauernd verwickeln wir uns in einen Wirrwarr aus Phrasen und Belanglosigkeiten. Wir sollten uns immer daran erinnern, wenn wir den Mund aufmachen. Das lehrt einen die Natur, und nicht irgendein noch so kluges

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