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Anderer Welten Kind (German Edition)

Anderer Welten Kind (German Edition)

Titel: Anderer Welten Kind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Ehmer
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Glasflasche mit einem Gummiverschluss wie eine eckig geschnittene rote Zunge, die, drückte man sie auf ein Stück Papier, eine kleine Öffnung freigab, aus der der Leim auf der Breite der Zunge als hingeleckte, feuchte Spur gleichmäßig glänzend austrat. Christian liebte diesen Geruch, aber an diesem Umschlag hatte er nichts Vertrautes, er hatte dort nichts zu suchen. Es war der Geruch, der ihn bei seinen Basteleien mit den Modellflugzeugen oder Weihnachtsfiguren begleitet hatte und als körnige Masse noch stundenlang an den Fingern klebte und sich langsam mit dem Staub und den Flusen schwarz färbte und nur noch mit dem Bimsstein entfernt werden konnte.
    Mit zitternden Händen fummelte er das Schreiben heraus und begann zu lesen.
    Amtsgericht Lübeck Lübeck, den 14. April 1958
    Am Burgfeld 7
    Lübeck
    An Herrn
    Christian Lorenz
    Claudiusring 24
    Lübeck Brandenbaum
    Sehr geehrter Herr Lorenz!
    Sie sollen als Zeuge in dem strafrechtlichen Gerichtsverfahren gegen Herrn Richard von Dülmen vernommen werden. Verhandelt wird in der Strafsache nach § 175 StGB und § 184 Absatz 3 StGB.
    Sie werden daher auf den 21. April 1958 um 9.00 Uhr zum Amtsgericht Lübeck, Am Burgacker 7, Verhandlungssaal III, erster Stock, geladen.
    Sie sind rechtlich verpflichtet, bei dem oben genannten Amtsgericht zur Zeugenaussage zu erscheinen (§§ 46 Abs. 2 OWiG, 161a Abs. 1 StPO), und zwar auch dann, wenn Ihnen ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 ff StPO oder ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 ff StPO zustehen sollte.
    Nach § 48 StPO muß ich Sie auf die gesetzlichen Folgen Ihres unentschuldigten Nichterscheinens hinweisen:
    Sollten Sie ohne ausreichende Entschuldigung ausbleiben, kann ich Ihre polizeiliche Vorführung beim zuständigen Ermittlungsrichter beim Amtsgericht in Lübeck beantragen, ebenso Ihre richterliche Vernehmung, ferner müßte ich Ihnen die ggf. durch Ihre Ausbleiben verursachten Kosten auferlegen (§ 51 StPO), ich müßte Ihnen auch ein Ordnungsgeld, das bis zu 500,00 DM (Art. 6 II S. 1 EStGB) betragen kann, auferlegen.
    Ich darf noch darauf hinweisen, daß Sie auch als Zeuge einen Rechtsanwalt als Zeugenbeistand wählen können. Dieser hat jedoch kein Recht, Ihrer Vernehmung beizuwohnen. Er kann auch nicht aus der Staatskasse gebührenrechtlich entschädigt werden.
    Hochachtungsvoll
    Irmgard Molder
    (Verwaltungsangestellte am Amtsgericht)
    Kommissar Hoesler! Hoesler hatte gelogen. Er hatte nicht Wort gehalten. So eine Sau. Er hatte es versprochen. Versprochen – gebrochen. Christian ließ den Brief fallen und ballte die Fäuste, bis die Knöchel weiß hervortraten, und die Empörung setzte sich weißglühend flimmernd vor seine Augen. „So eine Sau!“, brüllte er, „so eine Sau!“, und „Ich geh da nicht hin!“ rief er, schon leiser, in Richtung Wohnzimmer.
    Er stürmte in sein Zimmer und knallte erst die Küchentür und dann seine Zimmertür zu. Schwer atmend blieb er mitten im Raum stehen, die Fäuste immer noch geballt. Das konnten sie mit ihm nicht machen. Hoesler hatte sein Versprechen gebrochen. „Ich muss gar nichts sagen“, sagte er zu sich selbst. Der Lügner war der Kommissar! Der wusste ganz genau, wie er ihn hereinlegen konnte. Von wegen „Das bleibt unter uns“. Und ich bin darauf reingefallen, dachte Christian. Seine Mutter war ja dabei gewesen, sie konnte das bezeugen. Und das Protokoll hatten sie noch nicht unterschrieben, er würde alles zurücknehmen, ja, das würde er tun.
    Er atmete tief durch, rang um seine Fassung. Gleich würde er hinüber ins Wohnzimmer gehen und mit seiner Mutter reden. Gleich, nur noch einen kleinen, winzigen Augenblick. Paragraf Hundertfünfundsiebzig. Zeuge gegen Ricky. In der Öffentlichkeit, vor allen Leuten, sollte er wiederholen, was er dem Kommissar gesagt hatte. Unter den Augen von Ricky. Es würde danach in der Zeitung stehen. Sein Herz ritt eine Panikattacke.
    „Christian!“ Fritz Lorenz’ Stimme war ein scharf abgeschossener Pfeil. Er hatte leise die Tür geöffnet, behielt die Hand an der Klinke und steckte nur den Kopf ins Zimmer. „Komm ins Wohnzimmer, deine Mutter und ich müssen mit dir reden.“ Die Möglichkeit eines Widerspruchs lag nicht in dieser Stimme. Jetzt hielt er die Tür weit geöffnet.
    Ingeborg Lorenz saß zusammengesunken auf der Couch. Sie schaute Christian nicht an, als er vor seinem Vater das Wohnzimmer betrat und auf den rechten Sessel zusteuerte, vor dem keine Teetasse auf dem Couchtisch stand. In ihren

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