ANDERSENS MÄRCHEN ((Sämtliche Werke)) (German Edition)
sehen sollen damals, sehen sollen, wenn ich auf der Seite lag. Nie werde ich meine erste Geliebte vergessen; sie war ein Gürtel, so fein, so weich und so niedlich. Sie stürzte sich in ein Waschfaß um meinetwillen! - Da war auch eine Wittfrau, die für mich erglühte, aber ich ließ sie stehen und schwarz werden. Dann war da noch die erste Tänzerin; sie brachte mir den Riß bei, mit dem ich mich jetzt noch trage. Sie war so bissig! Mein eigener Kamm war in mich verliebt und verlor alle Zähne vor Liebeskummer. Ja, derartiges habe ich viel erlebt! Aber am meisten schmerzt mich die Geschichte mit dem Strumpfband - ich meine, dem Gürtel, der sich ins Waschfaß stürzte. Ich habe viel auf dem Gewissen; ich sehne mich danach, wieder ein unbeschriebenes Blatt zu werden!"
Und das wurde er; alle Lumpen wurden zu weißem Papier, aber der Halskragen wurde gerade zu dem Stück weißen Papiers, was wir hier sehen und worauf die Geschichte gedruckt ist. Und das geschah, weil er so fürchterlich mit allem möglichen hinterher geprahlt hatte, obgleich sich die Geschichten ganz anders zugetragen hatten. Und daran sollen wir denken, damit wir es nicht ebenso machen, denn man kann nie wissen, ob wir nicht auch einmal im Lumpenkasten enden und weißes Papier werden und dann unsere ganze Geschichte samt allen Geheimnissen aufgedruckt bekommen, so daß wir damit herumlaufen und sie selbst erzählen müssen, wie es dem Kragen geschah.
Der alte Grabstein
In einem der kleinen Marktflecken bei einem Manne, der seinen eigenen Hof hatte, saß abends in der Jahreszeit, in der die Abende länger werden, die ganze Familie im Kreise zusammen. Es war noch milde und warm. Die Lampe war angezündet, die langen Gardinen hingen vor den Fenstern nieder, auf denen Blumentöpfe standen, und draußen war herrlicher Mondschein. Aber davon sprachen sie nicht, sie sprachen von einem alten, großen Stein, der unten im Hofe lag, dicht bei der Küchentür, wohin die Mädchen oft das geputzte Kupferzeug stellten, damit es in der Sonne trocknen sollte, und wo die Kinder gern spielten, es war eigentlich ein alter Grabstein.
"Ja," sagte der Hausherr, "ich glaube, er stammt aus der alten, abgebrochenen Klosterkirche. Die Kanzel, die Denkmäler und die Grabsteine wurden ja verkauft! Mein seliger Vater kaufte mehrere davon; sie wurden zu Pflastersteinen zerschlagen, aber dieser Stein blieb übrig und liegt seitdem im Hofe."
Man kann wohl sehen, daß es ein Grabstein ist", sagte das älteste von den Kindern. "Es ist darauf noch ein Stundenglas und ein Stück von einem Engel zu sehen, aber die Inschrift, die darauf gestanden hat, ist schon verwischt außer dem Namen Preben und einem großen ,S', das gleich dahinter steht, und ein bißchen weiter unten steht ,Marthe'. Mehr kann man nicht herausbekommen und auch das ist nur deutlich zu sehen, wenn es geregnet hat oder wir ihn gewaschen haben."
"Herrgott, das ist Preben Svanes und seiner Frau Leichensteint" sagte ein alter, alter Mann im Zimmer. Seinem Alter nach hätte er gut und gerne der Großvater all der Alten und Jungen, die hier versammelt waren, sein können. "Ja, das Ehepaar war eines der letzten, die auf dem alten Klosterkirchhofe beerdigt worden sind! Das war ein altes, ehrenhaftes Paar aus meinen Knabenjahren! Alle kannten sie, und alle liebten sie; sie waren das Alters-Königspaar hier in der Gegend. Die Leute sagten von ihnen, daß sie über eine Tonne Gold besäßen, doch gingen sie einfach gekleidet. im gröbsten Zeug, aber ihr Linnen war blendend weiß. Das war ein prächtiges altes Paar. Preben und Marthe. Wenn sie auf der Bank oben auf der großen Steintreppe des Hauses saßen, über die der alte Lindenbaum seine Zweige breitete, und sie so freundlich und milde nickten, wurde man ordentlich fröhlich. Sie waren unendlich gutherzig gegen die Armen! Sie speisten sie und kleideten sie, und es war Vernunft und wahres Christentum in all ihren Wohltaten. Zuerst starb die Frau. Ich entsinne mich noch so gut des Tages. Ich war ein kleiner Knabe und mit meinem Vater drinnen beim alten Preben, als sie gerade hinübergeschlummert war. Der alte Mann war so bewegt, er weinte wie ein Kind. Die Tote lag noch in der Schlafkammer, dicht neben dem Zimmer, in dem wir saßen. Und er sprach zu meinem Vater und ein paar Nachbarn davon, wie einsam es nun sein würde, wie gut sie gewesen sei, wieviele Jahre sie zusammen gelebt hätten und wie es zugegangen wäre, daß sie einander kennen
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