Andreas Steinhofel
von ihm behaupten. Ich könnte erzählen, er hätte
es klasse gefunden.«
»Sei nicht so verdammt naiv! Denkst du überhaupt nicht an
Kat?«
»Sie kann froh sein, dass ich ihr die Überzeugungsarbeit
abgenommen habe.«
»Worum sie dich nicht gebeten hat!«
Sein Gesicht glüht vor Erregung. Die dunklen Augen funkeln
zornig. Ich denke an Schach. Als ich das Spiel zu lernen
versuchte, hat Michael mir erklärt, wie man seine eigenen oder
die Figuren des Gegners in bestimmte Positionen manövriert.
Ich kann mich nicht erinnern, ob es ein Patt war oder ein Remis,
bei dem man keinen Zug mehr machen kann, ohne dabei den
feindlichen König ins Schach zu setzen. Aber genau so fühle ich
mich in diesem Moment: ins Aus gesetzt.
Ich sollte Nicholas fragen, warum er sich hinter Kat versteckt,
wenn es doch nur um seine Befürchtung geht, mit mir gesehen
zu werden. Ich sollte ihn fragen, warum ich mich vor ihm
verteidigen muss, wenn doch offensichtlich er derjenige ist, der
ein Problem hat. Aber dazu müsste ich das Zittern in meiner
Stimme unterdrücken und mein rasend schlagendes Herz
beruhigen können. Mir fehlt der Mut, ihn so offensiv
anzugehen, wie Pascal es mir geraten hat. Seit er mit seiner
messerscharfen Wut hier eingetreten ist, beherrscht mich die
Angst, er könnte gleich gehen und mich allein zurücklassen. Er
muss mir diese Angst ansehen, denn plötzlich werden seine
Züge weicher.
»Phil…«
Ich wende mich ab, damit er nicht bemerkt, dass ich mit
Tränen kämpfe. Er legt von hinten die Arme um mich. Sein
Atem streicht über meinen Nacken.
»Phil, es tut mir Leid.«
»Ist okay.«
»Ich will keinen Streit mit dir.«
»Ich will auch keinen Streit.«
»Komm mit, komm.«
Später, nachdem wir miteinander geschlafen haben, liegen wir
auf dem Bett, starren gegen die Zimmerdecke und lauschen dem
inzwischen vertrauten, leisen Ticken der Heizung. Von draußen
drücken Dunkelheit und Wind gegen das Fenster. Ich frage
Nicholas, ob er nicht an einem der Weihnachtstage nach Visible
kommen möchte.
»Ich kann nicht. Meine Eltern und ich besuchen Verwandte.«
»Warum fährst du mit?«
»Ich kann sie nicht allein lassen.«
»Wenn es so schrecklich bei euch ist, wird es keinen
Unterschied machen, ob du dabei bist oder nicht. Dann sind es
statt zwei eben drei Leute, die sich gegenseitig fertig machen.«
»Du verstehst das nicht.«
Ich drehe mich auf die Seite, zeichne mit den Fingern seine
Augenbrauen nach, spiele in seinen Haaren. »Gibt es da
irgendein dunkles Familiengeheimnis, das du mir nicht verraten
hast?«
»Nein. Es gibt gar nichts.«
»Aber wenn ihr euch gegenseitig zerfleischt, warum fahrt ihr
dann gemeinsam zu Verwandten?«
»Wenn du sonst nirgends Halt findest, klammerst du dich
eben an alte Rituale.« Nicholas hält meine Hand fest, drückt sie
zur Seite und nagelt sie mit seinem festen Griff auf die
Matratze. »Dreh dich auf den Bauch.«
»Sei vorsichtig…«
Von jemandem, der so verschlossen ist wie Nicholas, lässt
sich nur schwer behaupten, dass er sich noch weiter in sich
selbst zurückzieht. Trotzdem habe ich in den folgenden Tagen
den Eindruck, dass seine seltenen Küsse noch seltener werden,
seine Berührungen weniger. Nur unser Sex bleibt der gleiche:
ein Hunger, den wir nicht stillen können.
DIE METEOROLOGEN HABEN SICH nicht getäuscht: Der
Winter wird lausig kalt. Bereits Mitte Dezember zieht sich eine
dünne, weißblaue Eisdecke über den Teich am Ende des
Gartens, den ich seit dem Sommer nicht mehr besucht habe. Ab
und zu fällt etwas pulverfeiner Schnee, aber es sind nicht mehr
als schnell verwehte, zerrissene Schleier, die ein sibirisch kalter
Wind gegen Baumstämme und Häuserwände pustet, wo sie wie
Puderzucker kleben bleiben. Alles erstarrt, Frost beißt sich tief
in den Boden und versiegelt die Erde mit einem Panzer aus
unsichtbarem Eis. Vielleicht ist es die unerträgliche Kälte, die
Dianne den Entschluss fassen lässt, ihren eigenen Panzer zu
sprengen.
Am Samstagnachmittag sucht sie mich in dem Zimmer auf,
das Michael und ich in eine Tischlerwerkstatt verwandelt haben.
»Phil, hast du einen Moment Zeit?«
»Muss es jetzt sein?«
Meine Hände und Klamotten sind mit grüner Farbe
bekleckert. Die Vitrine, das Weihnachtsgeschenk für Nicholas,
ist endlich fertig geworden und sieht, dank Michaels Hilfe,
wirklich nach professioneller Arbeit aus. Ich habe lange
überlegt, ob ich das schön gemaserte Holz unbehandelt lassen
oder ihm einen Anstrich geben soll. Letztlich habe ich mich für
den
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