Andreas Steinhofel
abwehrend den Kopf.
»Kora hat Visible nur von weitem gesehen, das hat ihr
gereicht. Sie sagt, es hätte etwas Magnetisches. Sie meint, dass
sich wahrscheinlich Dutzende von Wasseradern und
Energielinien unter den Fundamenten kreuzen.«
»Wasseradern und Energielinien?«
»Sie glaubt eben an solche Dinge.«
»Und du?«
»Könnte doch sein, oder?« Dianne legt den Kopf schräg.
»Jedenfalls sagt Kora, Häuser wie Visible würden jeden
auffressen, der sie betritt.«
»Ich will dir nicht zu nahe treten, aber das klingt ein bisschen
plemplem.«
»Von mir aus. Aber glaub mir, Phil, es gibt niemanden, der
einen klareren Kopf hat als Kora.«
Kat zu fragen, ob sie Lust auf Huhn mit Backkartoffeln hat,
erübrigt sich, da sie über die Feiertage und Silvester, in
Begleitung ihrer Eltern, auf Skiern die Alpen unsicher machen
wird.
»Ist das garantiert letzte Mal«, erklärt sie mir über das
vorweihnachtliche Schrammen ihrer Geige hinweg, als ich sie
zu Hause besuche. »Und dieses Mal werde ich mich auf Teufel
komm raus amüsieren, nach der Sommerpleite auf Malta!«
»Spielt dein Herz immer noch Kompass?«
Kat verzieht den Mund. »Was schenkst du Glass und Dianne
zu Weihnachten?«
»Wir schenken uns nichts, wir sind pleite.«
»Und Nicholas?«
»Keine Ahnung.«
Mit Ausnahme des Laufens hat er keine Hobbys. Natürlich hat
er sein seltsames Museum, aber er könnte es als
Vertrauensbruch auslegen, wenn ich Kat davon erzählte. Und
offen gestanden erfreut mich der Gedanke, Kat gegenüber
dieses Vertrauen als Vorsprung zu haben.
»Wir haben uns für einen kleinen Weihnachtseinkauf
verabredet«, sagt sie ohne die Geige abzusetzen. »Man kann
wahnsinnigen Spaß mit ihm haben, findest du nicht?«
»Kommt darauf an.«
»Er findet die Idee übrigens gut.«
»Welche Idee?«
Kat lässt den Bogen der Geige sinken. Ich kann fast hören,
wie ihre Mutter irgendwo im Haus die Stoppuhr drückt. »Na,
dass ich mir die Haare schwarz färben lasse.«
»Kat!«
Ich beschließe, Nicholas eine Vitrine zu zimmern. Es ist ein
Vorhaben, das mich völlig überfordert, bis ich kurz entschlossen
Michael um Hilfe bitte. Anscheinend gibt es nichts, was er nicht
kann. Eines der leeren Zimmer Visibles wird von uns zur
Werkstatt auserkoren. Wir plündern den Keller, wo wir gut
abgelagertes Holz finden, und in den nächsten Tagen hämmern
und feilen und nageln und sägen wir gemeinsam herum, sobald
Michael am frühen, öfter noch am späten Abend aus seiner
Kanzlei gekommen ist.
»Was hast du eigentlich nach der Schule vor?«, fragt er mich
irgendwann.
»Keine Ahnung. Studieren vielleicht, aber frag mich nicht,
was. Genauso gut kann ich mir vorstellen, erst mal eine Weile
mit Gable durch die Welt zu schippern.«
»Ich bin gespannt darauf, ihn kennen zu lernen.« Michael
klopft sich ein paar Sägespäne vom Pullover. »Du magst ihn
sehr, oder?«
»Als Kind habe ich mir immer gewünscht, dass er mein Vater
wäre.«
Worauf Michael mich mit einem Blick bedenkt, der alles und
nichts bedeuten kann, vermutlich eher alles. Ich lächele ihm zu
und widme mich wieder meiner Arbeit. Falls er und Glass daran
denken zusammenzuziehen, werden sie das noch früh genug
verkünden.
DER STREIT MIT NICHOLAS kommt so schnell wie ein
plötzlich aufziehendes Sommergewitter. Ebenso rasch ist er
auch wieder vorüber. Doch wie es einem dieser kurzen Gewitter
nur selten gelingt, die Schwüle aus der Luft zu waschen,
hinterlässt auch unsere Auseinandersetzung ein Versprechen auf
mehr, ein hintergründiges Grollen, das ich noch Tage danach zu
hören glaube.
Nicholas kommt zum Haus von Terezas Vater, wo ich ihn
erwarte. Er klingelt Sturm. Als ich ihm öffne, poltert er in den
Flur, aufgebrachter, als ich ihn je erlebt habe.
»Es wird überall herumerzählt, dass du schwul bist!«
»Von wem?«
»Von Kats Exfreund! Er behauptet, du hättest ihn befummelt,
und das drückt es nur milde aus!«
»Hab ich nicht. Ich hab ihn nur geküsst.«
»Du hast was?«
Die Temperatur im Raum scheint schlagartig um mehrere
Grade zu sinken. Irgendwo in meinem Inneren entsteht ein
Loch, durch das all meine Kraft und Energie entweicht.
»Ihn geküsst, damit er mich in Ruhe lässt.«
»Bist du völlig übergeschnappt?« Nicholas hebt die Hände,
für einen Augenblick glaube ich tatsächlich, dass er mich
schlagen will. »Wie kannst du die Leute auch noch mit
Munition versorgen?«
»Lass diesen Idioten doch verbreiten, was er will! Ich könnte
genau dasselbe
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