Andreas Steinhofel
Bernsteinsplitter vor sich
auf den Tisch. »Und was ist, wenn sein Schweigen nur bedeutet,
dass er nichts zu sagen hat?«
»Das glaube ich nicht.«
»Ja, ja, weil du ihn liebst.« Jetzt greift sie nach einer Lupe, um
ein paar Bernsteinsplitter genauer zu betrachten. »Meiner
Meinung nach hat es mit Liebe nicht viel zu tun, wenn der eine
nur gibt und der andere nur nimmt.«
»Weißt du, was ich an dir nicht leiden kann, Pascal?«, sage
ich nach einer kleinen Pause. »Dass du Leuten furchtbar gern
sagst, was sie nicht hören wollen.«
»Irgendwer muss es ja tun…« Ohne die Lupe abzusetzen
wedelt sie mit einer Hand. »Gib mir mal die Pinzette von da
drüben.«
Ich sehe ihr dabei zu, wie sie einen der kleinen Splitter
vorsichtig mit Klebstoff betupft und in das vorbehandelte
Holzstück einsetzt. Auf der Rückseite befestigt sie eine
Broschennadel. Eigentlich kaum zu glauben, dass ihre dicken
Finger eine so feine Arbeit zustande bringen können.
»Besonders hilfreich war das nicht«, sage ich endlich.
»Phil, nun hör mir mal zu.« Pascal legt das fertige
Schmuckstück ab und sieht zu mir auf. »Es ist dein Leben, nicht
meines, und für deine Probleme bist du selbst zuständig. Ich
würde dir einen Rat geben, wenn ich könnte, aber ich kenne
mich mit Männern nicht aus und will mich auch nicht mit ihnen
auskennen. Okay?«
»Okay.«
»Willst du trotzdem noch Kaffee?«
»Sicher.«
»Dann zieh dir endlich was an.« Pascal steht auf, drängt sich
an mir vorbei und zeigt auf das Frotteetuch. »Oder wartest du
darauf, dass ich dir das vom Leib reiße und mich auf dich
stürze?«
»Würdest du das tun?«
»Oh, wer weiß«, sagt sie trocken. »Was wäre das Leben ohne
exotische Abenteuer am Rande der Perversität?«
Sie wartet im Wohnzimmer auf mich, auf dem Tisch stehen
Kaffee und buttergelbe Plätzchen.
»Hey«, ich zeige darauf, »sind das die Reste vom Sommer?«
»Die sind frisch, du Idiot! Oder meinst du, ich würde im
Sommer Tannenbäume und Glocken ausstanzen?«
Unter ihren misstrauischen Augen esse ich ein paar Plätzchen,
nicke ihr begeistert zu – sie schmecken wirklich phantastisch –
und merke, wie ihr Blick sich irgendwann verändert und
nachdenklich wird.
»Was ist los?«
Pascal räuspert sich unbehaglich. »Also… eigentlich wollte
Tereza dir das heute sagen, aber da sie nicht hier ist… Wart mal,
ja?« Sie verlässt das Zimmer und ist gleich drauf wiedei zurück.
Ein gefaltetes Blatt Papier landet vor mir auf dem Tisch.
»Lies das. Wir haben eine ganze Sammlung davon.«
Es ist ein Brief, nur wenige Zeilen, hastig dahingekritzelt mit
dickem, schwarzem Filzstift. Ich weiß nicht, was schlimmer
wiegt, die stumpfe Hässlichkeit der Worte, die mir wie mit
einem Faustschlag unwillkürlich die Schamröte ins Gesicht
treibt, oder die aus ihnen sprechende Brutalität.
»Wer schreibt so was?«
Pascal zuckt die Achseln. »Irgendein Typ, der sich auf die
Vorstellung von zwei Lesben, die miteinander vögeln,
ausnahmsweise keinen runterholt, sondern sich davon mächtig
auf den Schwanz getreten fühlt.« Sie verzieht den Mund, wohl
um ihrer Gleichgültigkeit gegenüber diesem Brief Ausdruck zu
geben, bringt aber nicht mehr zustande als ein groteskes,
eckiges Grinsen.
»Und warum… warum zeigst du mir das?«
»Tja…« Sie macht diese Handbewegung, mit der sie
vergeblich versucht, die kurzen Haare hinter die Ohren
zurückzustreichen. »Scheiße, ich wünschte, Tereza würde es dir
sagen, aber das will sie seit Wochen und bringt es nicht übers
Herz. Also… wir gehen, Phil.«
»Was?«
»Wir haben das tausend Mal durchdacht, aus ebenso vielen
Gründen.« Sie zeigt auf den Brief. »So was da ist nur einer
davon.«
Ich habe das irrwitzige Gefühl, dass ich rückgängig machen
kann, was sie gesagt hat, wenn ich nur schnell genug aus diesem
Zimmer verschwinde. Wenn ich so tue, als wäre ich nie hier
gewesen. »Und die anderen?«
»Zum Beispiel, dass ich mich nach meiner Heimat sehne«,
sagt Pascal. »Oder danach, wieder in meinem alten Beruf zu
arbeiten. Oder dass Tereza die Nase voll hat von Klienten, die
keine anderen Probleme kennen als Nachbarsköter, die ihnen
den Vorgarten voll kacken.«
Ich starre auf den Brief. »Wann denn?«
»Nächstes Jahr, irgendwann im Frühjahr.«
»Im Frühjahr!« So bald schon. Meine Gedanken stolpern
übereinander. »Und was wird aus Glass? Sie wird ihren Job
verlieren! Sie wird ausrasten, wenn sie von euren
Umzugsplänen erfährt!«
»Sie
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