Andromeda
zwischen dem ein Strom sich ergänzender Empfindungen hin und her schwang.
Als Antwort begann eine Fülle erstaunlicher Bilder in mir aufzusteigen. Ich sah zunächst wieder die große, zornige Sonne der Tantaliden. Doch sie rückte rasch in die Ferne, wurde kleiner und kleiner, und ein fast saturngroßer Planet schob sich in mein Blickfeld. Ich hatte das Gefühl, auf ihn hinunterzustürzen, in sausender, unaufhaltsamer Fahrt. Sie wuchs mir gleichsam ent-gegen, diese mir unbekannte Erde. Dann erblickte ich das Meer, den Strand, die Gebirgszüge. Es war alles wie auf den Wandbildern in meiner Wohnung. Die Wüste tauchte auf und schließlich die Städte. Sie waren von der gleichen Art, wie ich sie hier auf Piros geschaut hatte, nur unzerstört und von quirlendem, überschäumendem Leben erfüllt. Fremdartige Fahrzeuge bewegten sich auf den Straßen. Es waren gleitende, der Länge nach halbierte Zylinder ohne Räder, und die Tantaliden saßen nicht darin, sondern standen. Die Fußgänger glitten auf breiten Transportbändern längs der Häuserzeilen dahin. Der Luftraum jedoch war belebt von Fluggeräten der unterschiedlichsten Art. Etliche wurden offenkundig nach dem Hubschrauberprinzip betrieben – deutlich erkannte ich die flirrenden Silberscheiben der Rotoren und Stabilisatoren –, andere schossen in die Höhe, nach vorn und zur Seite weg, wie an Schnüren gezogen. Es mußten Schwerkraftgleiter sein, den gleichen Gesetzen gehorchend wie die Kraftfelder hier in den Transportschächten. Endlich – in den oberen Atmosphärenschichten – zogen eindeutig als Raketen einzuordnende Flugkörper ihre Bahn. Sie waren fast wie die unseren gebaut, und ich begriff, daß die GROSSE AMÖBE mich in eine Zeit blicken ließ, die offenbar in die Anfänge der Tantaliden-Kultur fiel.
Mir wurde kalt und heiß. So deutlich war mir noch nie vor Augen geführt worden, wie endlos und zugleich wie unbedeutend der ungeheure Strom der Zeit war, auf dem wir alle zusammen dahintrieben. Wenn dies die Anfänge der Tantaliden-Epoche waren, dann hatten sie sich bereits zu dieser Zeit in einem fortgeschritteneren Stadium der Entwicklung befunden, als es die Menschheit bei meinem Abflug gewesen war. Dennoch schien es nur ein Schritt bis dorthin zu sein und ein weiterer auch nur, um nach Piros zu gelangen.
Groß wurde das Verlangen in mir, endlich Genaueres zu wissen über Standort und Nachbarschaft jener verschollenen Welt.
Die AMÖBE reagierte unverzüglich. Ich stürzte unvermittelt hinaus in den Weltraum. Ich hatte den Eindruck, bekannte Sternbilder um mich zu sehen, doch mein Vorwärtsstürmen nahm schon bald ein solches Tempo an, daß ich jegliche Orientierung verlor. Eisige Kälte begann mich zu umklammern, und die Sonnen stoben wie auf Perlenschnüren aufgereiht zu meinen Seiten dahin. Dann kam ich ebenso abrupt wieder zur Ruhe, und ein Schrei der Überraschung entrang sich mir. Ich schaute zurück auf den Ausgangspunkt meiner sausenden Fahrt, und was ich dort erblickte, war mir nur allzu gut bekannt. Es war der Krebsnebel, der Nebel
M 1, und er bot das gleiche Bild, wie wir es von Bord der ALGOL aus während der Bremsphase unserer Reise erblickt hatten. M 1 jedoch – das wußte ich – war der Rest einer Supernova, über eintausend Parsec von der Erde entfernt. Und ich wußte noch mehr: Das Aufleuchten dieser Supernova war bereits im Jahre 1054 alter Zeitrechnung auf Erden beobachtet worden. Selbst wenn ich die Riesenentfernung bis zu M 1 berücksichtigte, mußten die Tantaliden lange, lange vor dieser Zeit ihr Heimatsystem verlassen haben. Sicherlich hatten sie gewußt, was auf sie zukam, und beizeiten begonnen, das All nach einer Heimstatt abzusuchen.
Ja, so mußte es gewesen sein. Ich seufzte vor nachdenklicher Trauer tief auf. Ging nicht alles Leben in diesem Universum dem gleichen Schicksal entgegen – die eine Kultur früher, die andere später? Und gab es auf diese Herausforderung wirklich keine andere Antwort als die der Flucht und des heimatlosen Umherirrens? Doch selbst wenn nichts anderes blieb als das, was die Tantaliden gewählt, wie sah das aus, wenn man ganz, ganz weit vorausdachte? War die letzte Frage eigentlich nicht die nach dem Zustand unseres Universums überhaupt? Wie sah das Schicksal aller Dinge und allen Lebens in der allerfernsten Zukunft aus? Ließ sich überhaupt eine Alternative dazu finden? Mich überkam eine erste, noch ungewisse Ahnung von dem, was die Tantaliden vielleicht wirklich bewegte. Aber war so
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