Andromeda
bereut, sie jemals verlassen zu haben. Nun also hatte ich sie wieder.
Und ich dachte weiter: Was mir zunächst als die reine Verhöhnung all meiner Nöte und Schmerzen hatte erscheinen wollen, stellte sich mir nun, bei ruhigerem Nachsinnen, als freundliche Geste dar. Das, was ich so lange vermißt hatte droben in der zerfallenden Stadt, hatten sie hier endlich nachholen wollen: mir nämlich eine menschenwürdige Umgebung und ebensolche Lebensbedingungen zu schaffen.
Nein, ich war nicht verrückt geworden – ganz und gar nicht. Doch weshalb sie, die Tantaliden, sich so merkwürdig verhalten hatten all die Zeit, wurde deswegen nicht klarer. Sie mußten jedoch ihre Gründe gehabt haben dafür. Sie waren ein vernünftiges Geschlecht. Und nun also waren diese Gründe fortgefallen. Es konnte nur damit zusammenhängen, daß ich mit Hilfe der AMÖBE gewaltsam zu ihnen vorgedrungen war. Das mußte etwas grundsätzlich verändert und eine neue Situation geschaffen haben. Abermals überfiel mich Unruhe. So betrachtet, konnte die Wirklichkeit meiner Kabine hier auch noch etwas gänzlich anderes bedeuten. Es konnte bedeuten, daß es nicht mehr darauf ankam. Es konnte so etwas sein wie der letzte Wunsch, den man einem Sterbenden erfüllt. Mich beschlich die Vorahnung eines großen Unglücks, das ich noch nicht gänzlich zu überschauen vermochte.
Ich blickte erneut zum Bildschirm, und da war es dann, als ob sie gemerkt hätten, daß ich erwacht war. Sie blickten zurück, alle dreizehn. Sie hielten ihre Gesichter hergewandt zu mir, und ihre Augen loderten fremd und erwartungsvoll. Ich mußte mich ihnen endlich stellen.
Ich stand auf, schritt hinüber zur Tür und öffnete sie. Da sah ich dann, welche Mühe sie sich mit mir gegeben hatten. Meine kleine Kabine war im hinteren Winkel einer großen Halle eingebaut. Von außen gesehen, war sie nichts weiter als ein fugenloser, weißwandiger Quader. Die Halle selbst lag in diffusem Dämmerlicht, und ich erkannte rasch, daß sie sich kaum von all jenen Räumen unterschied, die ich in den vielen über mir liegenden Etagen vorgefunden hatte. Alles war still und tot. Große Metallwürfel waren dem Hallenboden fugenlos aufgesetzt, Rohrbündel und Zylinder waren an Decke und Wänden montiert. Es kam mir vor wie der Speicher eines großen Theaters, in dem meine Kabine wie eine Kulisse abgestellt worden war. Doch welches Schauspiel sollte aufgeführt werden? Sollte es überhaupt noch eine Vorstellung geben?
Ich schüttelte die trüben Gedanken ab und wandte mich einer torgroßen, hellerleuchteten Öffnung in der Stirnwand des Saales zu. Als ich über die Schwelle trat, befand ich mich im Kontrollraum und stand den Tantaliden von Angesicht zu Angesicht gegenüber.
Lange Minuten vergingen, und wir musterten uns schweigend. Ich lauschte in mich und verspürte nichts – keine Begeisterung, keine Freude. Sie hatten es mir zu schwer gemacht, um bis hierher zu gelangen. Jedoch auch sie selbst schienen nicht sonderlich bewegt zu sein von meinem Anblick. Sie standen bewegungslos, geradezu ablehnend, wollte mir scheinen, und dieser Eindruck wurde wohl noch dadurch verstärkt, daß ich kaum einen individuellen Zug in ihren Gesichtern entdecken konnte. Bis auf die gelegentlich variierende Haarfarbe erschienen sie mir alle gleich, waren auch alle von beinahe der gleichen, überwältigenden Größe, und das beeindruckendste an ihnen waren und blieben diese alles beherrschenden, flammenden drei Augen. Da waren sie also, die Zyklopen der Sage, doch sie benahmen sich ganz und gar nicht zyklopenhaft, absolut nicht.
„Ich bin Jorge Stenström“, sagte ich leise. „Verzeiht, daß ich bei euch eingedrungen bin, aber ich wußte mir keinen anderen Rat mehr.“
Keine Entgegnung kam.
Mein Blick wanderte unwillkürlich zu den Monitoren im Kontrollpult hin. Die lagen blind und leer.
„Es ist wegen meiner Gefährten, die bei euch sind“, fuhr ich ebenso leise fort. „Ich hatte den Wunsch, bei ihnen zu sein. Und wenn sie sterben müssen, will ich mit ihnen sterben, und wenn sie leben dürfen, will ich dies auch.“ Immer noch keine Antwort.
„Ich habe Schaden angerichtet“, sagte ich. „Es tut mir leid. Doch ich habe keinen von euch verletzen wollen, und ich habe es wohl auch nicht getan.“
„Nein, das hast du nicht.“ Endlich war eine Stimme da. Es war eine weiche Baßstimme, und sie ertönte in mir. Keiner dort drüben hatte die Lippen bewegt oder gab sich sonstwie als Sprecher zu erkennen. Ich
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