Andular III (Das Erbe der Schicksalsweber) (German Edition)
aufbrechen?“
Renyan sah in Cales erschöpftes Gesicht. „Nein. Was bringt uns schon der größte Vorsprung, wenn wir nicht mehr in der Lage sind, ihn zu unseren Gunsten zu nutzen? Deshalb sollten wir wenigstens ein bisschen schlafen.“
Cale nickte, bemüht sich seine Erleichterung über die Entscheidung seines Gefährten nicht anmerken zu lassen.
Nachdem Renyan sich davon überzeugt hatte, dass Cale eingeschlafen war, erhob er sich langsam und setzte sich mit Lumeos in der Hand neben ihn. Solange er seine Augen noch offen halten konnte, wollte er wenigstens versuchen Wache zu halten. Cale hatte einen erholsamen Schlaf nötiger als er, zumal er sich den Rest des weiteren Weges auf Zardans Rücken ausruhen konnte.
So saß er da und genoss die kalte Brise, die der Wind hin und wieder zu ihm hinunter wehte. Das Summen des Schattenwalls nahm er mittlerweile gar nicht mehr wahr, so sehr hatte er sich an das monotone Geräusch gewöhnt. Umso weniger aber an Cales Schnarchen, das ab und zu in ein animalisches Knurren überging, als hätte Cale im Traum seine Wolfsgestalt angenommen.
Wie wohl ein Wolf träumt, dachte Renyan und rieb sich gähnend die müden Augen. Wie gern würde er endlich mal wieder friedlich schlafen, an einem Stück, ohne plötzlich von Gefahr verlautenden Geräuschen aufgeschreckt zu werden. Seit sie Narlos Schiff verlassen hatten, war sein Schlafrhythmus vollkommen durcheinander gebracht worden. Wie lange war es her, dass er länger als vier Stunden an einem Stück geschlafen hatte? Und wann hatte er das letzte Mal frisches, reines Wasser getrunken? Bloß nicht dran denken, dachte er, aber es war zu spät und schon spürte er umso mehr die Trockenheit in seiner Kehle. Er fragte sich gerade, ob Zardans Pfoten es tatsächlich mit dem harten Boden aufnehmen konnten, als er mit einem Mal wieder dieses seltsame Gefühl verspürte beobachtet zu werden. Es war plötzlich da, einfach so, wie aus dem Nichts, nur mit dem Ziel ihn ein weiteres Mal zu beunruhigen. Sein Herz begann augenblicklich schneller zu schlagen.
Lumeos fest in der Hand, stand er vorsichtig auf und warf einen raschen Blick in alle Richtungen. Die Dunkelheit um ihn herum kam nun einem schwarzgrünen Nebel gleich, der nur nach oben hin abnahm und einen freien Blick auf den höchsten Punkt des Schattenwalls ermöglichte.
Gerade als er sich sicher war, dass außer ihm, Cale und der Dunkelheit nichts weiter da war, vernahm er plötzlich den Klang von dumpfen Schritten, die irgendwo in nördlicher Richtung davonschlichen.
Er überlegte, ob er nach dem geheimnisvollen Beobachter rufen sollte, sofern es denn ein menschliches Wesen war, doch er unterließ es. Nicht aus Furcht vor dem Einzelnen, aber was wenn es ein weiterer jener Gestalten war, die Cale und er vor einiger Zeit an den Ufern des leuchtenden Flusses gesehen hatten? Vielleicht war es ein Späher, der sofort dazu überging Alarm zuschlagen, sobald Renyan auf sich aufmerksam machen würde.
Noch bevor er sich gänzlich entschieden hatte, war der Klang der Schritte auch schon wieder verschwunden. Regungslos starrte Renyan weiter in die Richtung, seine Ohren nun noch mehr gespitzt als zuvor, als ihn plötzlich ein leises Wimmern aus seinen Gedanken riss. Er blickte zu Boden.
Cale wand sich neben ihm, schnell atmend, fast keuchend, während sein Kopf ruckartig von einer Seite zur anderen schnellte. Die Finger seiner linken Hand waren sonderbar gekrümmt, wie durch einen Krampf gelähmt, und seine Augenlider flatterten unruhig auf und ab. Sein Wimmern schwoll jetzt zu einem fürchterlichen Knurren an, und noch bevor Renyan sich nach ihm bücken konnte, rollte Cales Körper herum und stieß sich auf allen vieren vom Boden ab.
„Cale!“ Renyan wollte ihn gerade an der Schulter packen, als das Gesicht des Jungen hervorschnellte und nach seiner Hand schnappte. Er verwandelt sich, dachte Renyan und tatsächlich; Cales entblößte Zähne wurden länger, Geifer lief ihm über die Lippen, die sich nun schwarz färbten, während das Grün seiner Augen einem leuchtenden Gelb wich.
Renyan überlegte nicht lange; er warf sich auf Cale nieder, der daraufhin wie wild unter ihm zu toben begann, doch Renyans Arme schlossen sich fester um den Körper des Jungen, dessen Kleidung sich immer mehr spannte und zu reißen drohte.
„Cale, hör auf! Ich bin es, Renyan! Was hast du denn?“
Doch Cale reagierte nicht. Seine Beine scharrten über den Boden, versuchten sich vom Rand der Mulde
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