Angel City Love (German Edition)
Dreitagebart und schütterem Haar. Während er sprach, hielt er das Geschichtsbuch in die Höhe. »Und denjenigen, die die erforderlichen Texte nicht gelesen haben, soll gesagt sein, dass es nichts hilft, wenn ihr euch in Schweigen hüllt. Je weniger ihr euch am Unterricht beteiligt, desto öfter rufe ich euch auf.« Die Klasse stieß ein kollektives Stöhnen aus. Maddy mochte sich zwar nicht sonderlich für die Engel interessieren, aber Pflichtlektüre las sie stets gewissenhaft. Trotzdem verhielt sie sich im Unterricht immer eher zurückhaltend. Während Mr Rankin jetzt so richtig in Fahrt kam, wurden ihre Augenlider unerträglich schwer.
»Also, wer kann mir etwas über die Geschichte der Engel vor den Zeiten der Nationalen Gesellschaft für Engelsdienste erzählen?«
Eine Hand vorne in der Klasse schnellte nach oben. Mr Rankin deutete auf den Schüler.
»Zu Beginn wirkten die Engel ihre Wunder anonym«, erklärte der Junge.
Mr Rankin nickte zustimmend.
»Und wie waren die Engel auf Erden organisiert?«
»Es gab eine Königsklasse?«
»Zumindest geht so die Legende, korrekt.« Mr Rankin schlenderte nun durch Maddys Reihe. »Wie so oft, wenn es um die Engel geht, lassen sie uns über vieles, was ihr Dasein hier auf Erden betrifft, im Unklaren. Vieles wollen sie weder bestätigen noch abstreiten. Vor allem, was die Frühgeschichte betrifft. Einige Historiker stellen sogar die Vermutung an, dass es vor langer Zeit eine Schlacht zwischen den guten Engeln und den dunklen Engeln, auch Dämonen genannt, gegeben hat. Eine Schlacht um die Vorherrschaft auf der Erde, aus der diese Königsklasse am Ende siegreich hervorging.« Maddy richtete sich weiter in ihrem Stuhl auf und gab sich alle Mühe, möglichst wach zu wirken, während er an ihr vorüberging. »Die Engel agierten also anonym. Und was ist dann geschehen?«
»Dann kam der Bürgerkrieg«, äußerte jemand weiter hinten. Maddy spürte, wie ihr langsam die Augen zufielen.
»Der Amerikanische Bürgerkrieg, ganz genau.« Mr Rankin ging zur Tafel und schrieb Bürgerkrieg darauf. »Nach all dem Blutvergießen, das dieser Konflikt mit sich brachte, bei dem Brüder gegen Brüder kämpften, beschlossen die Engel, dass es keinen Sinn hatte, sich weiter zu verstecken und den Menschen aus reiner Barmherzigkeit zu dienen.« Er machte eine kurze Pause. »Um es ganz überspitzt zu formulieren: Sie gelangten zu der Ansicht, dass wir es einfach nicht verdient hatten. Also traten die ursprünglichen Engel, die Wahren Unsterblichen – zwölf Erzengel, allesamt männlich, aber dazu mehr, wenn wir uns über die Suffragettenbewegung unterhalten – an die Öffentlichkeit und präsentierten ihr Anliegen der US-amerikanischen Regierung. Angeführt wurden sie von Gabriel und schon bald waren sie bekannt als der Rat der Zwölf. Mithilfe von Präsident Grant boten die Engel ab diesem Zeitpunkt ihre Fähigkeiten als Serviceleistung an und wurden zu Verfechtern des Amerikanischen Kapitalismus.«
Mr Rankin schrieb Amerikanischer Kapitalismus unter Bürgerkrieg und kreiste die Worte ein. Dann wanderte er langsam vor der Klasse auf und ab. »Die Engel organisierten sich, gründeten Familien und fingen an, Kinder in die Welt zu setzen. Diese Geborenen Unsterblichen reifen ähnlich wie die Menschen zu Erwachsenen heran, doch dann kommt der Alterungsprozess irgendwann fast völlig zum Stillstand. Die Geborenen Unsterblichen scheinen über eine sehr lange Zeitspanne ein kleines bisschen zu altern, obwohl der Rat offiziell behauptet, sie seien unsterblich. Wie dem auch sei, jedenfalls bekamen auch sie wieder Kinder. Und während ihre Zahl immer weiter stieg, gründete man die Nationale Gesellschaft für Engelsdienste. So, wer kann mir etwas zur NGE erzählen?«
Niemand meldete sich. Mr Rankin ließ den Blick durch den Raum schweifen, bis er auf Maddy zu ruhen kam, die zusammengesunken und mit nach vorne gekipptem Kopf auf ihrem Stuhl hockte.
»Maddy?«
Überrascht blickte sie auf. »Ja?«
»Wir warten.«
»Tut mir leid, könnten Sie bitte freundlicherweise die Frage wiederholen?«
Mr Rankin rang sich ein kurzes, gezwungenes Lächeln ab, dann trat er auf sie zu. »Wenn ich die Frage wiederhole, wird dir das nicht viel bringen, sofern du den Text nicht gelesen hast.«
Maddy richtete sich auf und räusperte sich. Plötzlich trat eine solch stille Zuversicht in ihren Blick, dass der kleine Geschichtslehrer stehen blieb.
»Die Nationale Gesellschaft für Engelsdienste wurde im Jahr 1910
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