Angela Merkel – Die Zauder-Künstlerin (German Edition)
Bestseller-Autor Thilo Sarrazin konnte im Frühjahr 2012 keine Anti-Euro-Stimmung schüren. Sein Buch Europa braucht den Euro nicht verkaufte für seine Verhältnisse »nur« 100 000 Stück. Und auch im weiteren Verlauf stieg das Konsum-Vertrauen, weshalb Deutschland als einziges Land in Europa an der vorhergesagten Rezession vorbeikam. Die neuen Deutschen kauften sich selber aus der Krise heraus – so etwas hat es seit dem Krieg nicht gegeben. 2013 schließlich soll die Wirtschaft wieder anziehen, während die Euro-Zone in eine Rezession abgleiten dürfte. Doch die Bundesregierung hat längst die Kurzarbeitergeld-Regelung vorsorglich verlängert, die kurzfristige Schocks am Arbeitsmarkt dämpfen würde. Dass ein mäßiges Anwachsen der Arbeitslosenzahl und schlechte Konjunktur-Nachrichten Angela Merkel die Wahlchancen im Herbst 2013 schwer verhagelt, ist also nicht zu erwarten.
Nein, unter dem Strich steht vorerst: Die gelassenen Deutschen tun ihrer ähnlich gelassenen Kanzlerin einen unschätzbar wertvollen Gefallen: Jahr um Jahr werden sie ihr ähnlicher.
Eine gewisse deutsche Verzagtheit ist zwar immer noch zu spüren in manchen der öffentlichen Debatten. Aber sie ist nicht mehr beherrschend. Man traut sich etwas zu, man trotzt der Krise. Das ähnelt der Art, wie Angela Merkel mit der Euro-Krise umgeht: auf Sicht fahren, niemals ein Endspiel spielen, aber immer energischer das Kommando in der Euro-Zone übernehmen – ohne groß aufzutrumpfen oder unter Druck Nerven zu zeigen. Weitere Ähnlichkeiten: Gegen große Koalitionen haben die meisten Deutschen nicht viel einzuwenden. Angela Merkel verkörpert sie wie sonst niemand. Das Sicherheitsstreben der meisten Deutschen ist bei der Kanzlerin die Angst vor dem Kontrollverlust. Die schwindende Bangigkeit, das neue Selbstvertrauen der Deutschen ist bei ihr das gewachsene Zutrauen in die eigene Machtposition, vor allem im Ausland. Und was das Desinteresse an Politik bei vielen Bürgern ist, das ist der illusionslose Frust bei Merkel, was den Erfolg von Erklärungen angeht. Die Kompliziertheit der anliegenden Fragen ist für die Bürger vielfach Abschreckung, für Merkel eben deswegen Rechtfertigung für unterdurchschnittliches Verkaufen. Heißt: Wer an Angela Merkel verzweifeln will, der kann genauso gut gleich an den Deutschen insgesamt verzweifeln.
Warum hält sie die Hände immer so komisch?
Über die Marotten und kleinen Eigenarten der Kanzlerin ist wenig bekannt. Kein Wunder: Kein Politiker lässt sich gern mit sonderbaren Angewohnheiten in der Öffentlichkeit ertappen – die höchst kontrollierte Angela Merkel schon gar nicht. Bei ihr sind alle privaten Türen aus Prinzip verschlossen, und was sich dahinter abspielen mag, erzählen die, die dabei waren, so gut wie nie. Manchmal aber doch. Und weil zudem das eine oder andere vor der Öffentlichkeit nicht zu verbergen ist, wenn man den großen Teil des Tages öffentlich lebt, lässt sich sagen: Angela Merkel hat wenige Marotten. Die aber richtig.
Tagtäglich sichtbar sind zum Beispiel ihre Hände und fast immer in derselben Haltung: eine aus beiden Daumen und Zeigefingern geformte Raute, kurze Spitze mit den Daumen nach oben, lange Spitze mit den Zeigefingern nach unten. Ungezählt sind die Fotos, die sie mit dieser Handhaltung zeigen. Diese »Merkel-Raute« wird im Internet lebhaft diskutiert und hat längst auch einen eigenen Namen »Merkelizer«. Wie nicht anders zu erwarten, tobt unter den (selbst ernannten) Experten ein Streit, ob wir es mit einer klassischen Raute zu tun haben oder nicht doch eher mit einem Dreieck respektive einer auf der Spitze stehenden Pyramide. Das wiederum ließe weiteren Raum für Spekulationen über Freimaurerei, die Illuminati und sonst nicht was. Mancher Spötter in Berlin sagt sogar, in Wahrheit kommuniziere Merkel auf diesem Wege mit ihren außerirdischen Auftraggebern. Dreiecks-Spitze nach unten heiße: ›Ich bin hier noch nicht fertig, Auftrag noch nicht erfüllt.‹ Und erst, wenn sie die Spitze des Finger-Dreiecks eines Tages nach oben zeigen lasse, wäre das dann das Signal an das Ufo-Mutterschiff, sie wieder raufzuholen.
Ist vermutlich alles Quatsch, aber unwillkürlich ist man auf den Tag gespannt, an dem Angela Merkel zum ersten Mal ihre Hände andersherum hält. Ich jedenfalls kann sagen, einmal eine ordentlich dotierte Wette mit einem Freund gewonnen zu haben, als ich mich für ein Interview-Foto neben sie mit derselben Handhaltung gestellt habe. Journalisten
Weitere Kostenlose Bücher