Angela Merkel – Die Zauder-Künstlerin (German Edition)
sind eben auch nur groß gewordene Kinder.
Die Aufklärung, ob Raute, Dreieck und/oder Außerirdische ist am Ende leider recht prosaisch, typisch Merkel eben. Die Haltung der Hände auf Höhe des Bauchnabels helfe ihr, den Rücken gerade zu machen, Körperspannung zu halten, sagt sie auf Nachfrage. Das sei gut für Aufmerksamkeit und Stimme, habe ihr eine Ergotherapeutin geraten, ihre jüngere Schwester Irene. Thomas Steg, ihr Vize-Regierungssprecher in der großen Koalition, erzählt, er habe Merkels Dreieck/Raute meistens dann erlebt, wenn sie guter Laune und gelöst gewesen sei. Bei hoher Konzentration und Anspannung dagegen reibt sie mit den Fingerkuppen der einen Hand in der Innenfläche der anderen im Kreis herum. Was immer das für die Außerirdischen heißt.
Aus Merkels Händen nicht wegzudenken ist ihr Alltags-Handy (das Krypto-Handy kommt nur im Urlaub zum Einsatz). Mehrere Dutzend SMS , nie Mails, verschickt sie pro Tag. Auf die Frage, ob sie auch einmal an die falsche Adresse abschickt, antwortete sie 2006 in einem ZDF -Interview: »Ganz wenige«. Das Gros ihrer Mitteilungen richtet sich ohnehin nur an einige wenige Adressaten in ihrer Umgebung, vor allem kurze Fragen, Terminabsprachen, Erinnerungen. Per SMS ist sie auch am besten zu erreichen, ihre Mailbox hat sie nämlich schon Jahre vor der Kanzlerschaft deaktiviert – um nicht weiter Gefahr zu laufen, eingegangene Nachrichten im Laufe eines Tages zu vergessen und den Absender nicht zurückzurufen.
Tatsächlich ist die Kanzlerin immer »on«. SMS schreibt sie unter dem Pult im Bundestag, an jedem Konferenztisch und gern auch im Stehen oder langsamen Gehen. Rasend schnell und meistens mit den beiden Daumen. Zugleich lässt sie es zu, dass das Lagezentrum des Bundespresseamtes ihr inzwischen rund 70 SMS pro Tag mit aktuellen Ticker-Nachrichten zusendet (Merkels Handy ist stumm geschaltet). Als dieser Dienst für Regierungsmitglieder 2006 startete, war es kaum ein halbes Dutzend pro Tag. So trägt Merkel zur oft beklagten, enormen Verdichtung ihrer Arbeit selber bei und ist zum SMS -Junkie geworden. Der Spiegel hat aus beiden Punkten einmal einen klugen Essay über die »Zerhackte Zeit« gemacht. Er gipfelt in einer Szene, wo Merkels Handy bei einem offiziellen Besuch in Südkorea nach der Landung nicht mehr funktioniert und sie eine ganze Autofahrt vom Flughafen in die Innenstadt ohne Anschluss ist. Man habe aus dem Fenster geschaut, erzählte der Regierungssprecher hinterher. Das sei auch mal schön gewesen.
Nicht jeder hat Verständnis für Merkels Info-Sucht, auch in ihrer engsten Umgebung nicht. Von Finanzminister Wolfgang Schäuble ist überliefert, dass er nur den Kopf schüttele über die Versuche, »ein 80 Millionen-Volk per SMS zu regieren«. Manch anderer ist irritiert, wenn Merkel in Gesprächen parallel auf ihrem iPad oder Smartphone zu lesen beginnt. So gesehen ist sie in etwa so modern wie die 15- bis 25-Jährigen, obwohl sie mit dem Internet als gesellschaftlichem Phänomen in Wahrheit nur wenig anfangen kann, mit Shitstorm und Blogs und den Piraten, die sie »Pinnwand« nennt, nicht Partei. Vor allem nervt sie am Internet, was Polit-Berater Michael Spreng »Schwarmfeigheit« nennt, die Anonymität, die alle Hemmschwellen skandalös tief absenke. Ihre eigenen Gehversuche im Netz, vom samstäglichen Video-Podcast, über twitter-»event pages« bei CDU -Parteitagen bis zum Chat-Interview mit der CDU -Basis, sind eher hölzern.
Wer ständig auf Empfang ist, kommt wenig zum Schlafen. Auch das gilt für Angela Merkel, die zugleich aber doppeltes Glück hat. Zum einen kann sie offenbar an jedem Ort schlafen: im Fond der Dienstlimousine, in einem Helikopter und im Bett des Regierungs-Airbusses sowieso. So sammelt sie, wenn es nicht anders geht, viertel- und halbstundenweise den Schlaf ein. Zugleich verfüge sie über eine gewisse »Kamel-Kapazität« beim Schlafen, wie sie selber es nennt. Wenn sie unter der Woche pro Nacht nur vier bis fünf Stunden schlafen könne, reiche ein Tag am Wochenende mit zehn Stunden Schlaf und sie sei wiederhergestellt. Gegner wie Freunde loben ihre Durchhaltefähigkeit, gerade auch bei Nachtsitzungen im EU-Kreis – die oft erst dann zu Ende gehen, wenn manche Regierungschefs ins Bett wollen und deshalb kompromissbereit werden. Unions-Fraktionschef Volker Kauder: »Die Kanzlerin hat kein Problem, die Nächte zum Tag zu machen. Die sitzt und sitzt dann da und nervt die anderen.« Ex-Wirtschaftsminister Michael
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