Angela Merkel – Die Zauder-Künstlerin (German Edition)
seinem überschwänglichen Englisch mit Italo-Akzent.
Heißt unter dem Strich: Mit den Marotten der Kanzlerin ist es nicht allzu weit her. Sie zelebriert sie nicht wie zum Beispiel ihr SPD -Herausforderer Peer Steinbrück seine Neigung fürs Rauchen, Schach-Spielen oder sein persönliches Wappentier, das Panzer-Nashorn. Nein, Angela Merkel ist normal, ziemlich normal.
Wie macht Angela Merkel Politik? Hat sie einen Standardtrick?
Das A und O, Anfang und Ende beim Politikmachen, das ist für Angela Merkel das Herbeiführen von Gewissheiten. Für sich selbst vor einer Entscheidung, für die Bürger mit einer Entscheidung. Daraus leitet sich alles ab: alle Taktik, alle Tricks und alles, was sonst noch dazu gehört. Auch alle Beschränkungen oder Fehler, die man der Kanzlerin vorwerfen kann, lassen sich aus diesem archimedischen Punkt ihres Vorgehens erklären. Und was ihr in fast acht Jahren Amtszeit geglückt ist ebenso.
Im Licht dieses einen Begriffs ergeben plötzlich alle Etiketten einen Sinn, die im Laufe der Zeit an ihrem Politikstil haften geblieben sind: Das »Zaudern und Zögern«, die »kleinen Schritte«, die »Physikerin der Macht«, die »asymmetrische Demobilisierung« in Wahlkämpfen, die »Präsidial-Kanzlerin« und natürlich ihr »Erwartungs-Management«, vulgo das notorische Tiefstapeln. Alles Instrumente zum serienmäßigen Verfertigen von Gewissheiten für Bürger, die sich in einer nervösen Welt nach solchen festen Plätzen sehnen. Angela Merkel ist eine sehr professionelle Feste-Plätze-Produzentin: Egal ob es um Personal- oder Sachfragen geht, um Partei oder Regierung – die Kanzlerin geht fast immer über dieselben Etappen bis zu einer politischen Entscheidung. Sie hat diese Art, Politik zu machen, im Laufe der Jahre stetig verfeinert, und zuletzt kam ihr massiv zu Hilfe, dass eine echte europäische Innenpolitik entstand, der sich zu widmen nicht mehr wie früher als »Flucht« vor der eigentlichen, der heimischen Innenpolitik gilt – sondern eine schlichte Notwendigkeit ist. Alternativlos wie jede sichere Gewissheit, würde Angela Merkel sagen.
Und das Ganze geht so: In der ersten Etappe saugt sie sich voll mit zahllosen Daten und Fakten, mit möglichst hochgradig objektiviertem Expertenwissen. Dann kommt eine Phase des Zauderns und Haderns. Dann legt sie sich fest. Und haben der Koalitionsausschuss oder das Kabinett endlich offiziell entschieden, bleibt Angela Merkel oft auch dann noch dabei, wenn sich der Beschluss als Schwachsinn herausstellt. »Nur wer die Entscheidungsfindung er- und durchlitten hat, steht hinterher auch zu dem Verabredeten«, hat sie einmal halb ironisch gesagt. Aber auch halb ernst.
Zuerst also das Sammeln . Sie liest, lässt sich vortragen, diskutiert – und speichert ab. »Sie lernt schneller als andere denken«, sagt einer ihrer langjährigen CDU -Rivalen. »Sie ist eine sehr intensive Zuhörerin«, ergänzt ein ehemaliger Minister aus dem Kabinett der großen Koalition. So gesehen ist Merkel ein emphatischer Mensch, denn der Begriff beschreibt ja auch die Fähigkeit, sich in die Rolle des Gegenübers versetzen zu können, durch dessen Brille auf das gemeinsame Problem zu blicken. Unisono wird also gelobt, wie rasant sie Zusammenhänge herstellen kann, wie weit ins Detail und in die Vergangenheit ihr Gedächtnis reicht – so weit, dass Mitarbeiter mit ihr keine Wetten mehr eingehen, wann und wo ein bestimmter Satz gefallen, ein bestimmtes Detail zum ersten Mal aufgetaucht ist. Bei der Gesundheitsreform der großen Koalition zum Beispiel schwärmte die gewiefte SPD -Ministerin Ulla Schmidt zunächst noch vom herrlich leichten Zugang zur Kanzlerin, »binnen zehn Minuten ruft sie meistens zurück«. Das war in Merkels Sammel-Phase, und vielleicht hatte Schmidt die Hoffnung, Merkel mit gezielt vermitteltem Fachwissen ein wenig steuern zu können. Einige Zeit später, auf dem Höhepunkt der Verhandlungen, räumte die langjährige SPD -Ministerin kleinlaut ein, die Kanzlerin sei bestechend gut vorbereitet für das politische Endspiel im Koalitionsausschuss, kein Vergleich zu ihrem früheren Chef Gerhard Schröder bei ähnlichen Gelegenheiten. Ein anderer Minister aus der Zeit sagt heute: »Wenn wir unter Gerhard Schröder nur halb so viel diskutiert hätten wie unter Merkel, dann säße die SPD immer noch im Kanzleramt.« Heißt: Offenbar hatte auch Merkel ihre Gespräche mit der »gegnerischen« Ministerin gut genutzt, hatte allem Anschein nach echte
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