Angela Merkel – Die Zauder-Künstlerin (German Edition)
Forscher-Freude an den verschachtelten Zusammenhängen der deutschen Gesundheitspolitik entdeckt. Es wurde geradezu ihr Steckenpferd. Neben etlichen anderen Runden diskutierte sie damals einmal einen ganzen Abend lang im achten Stock des Kanzleramts mit Journalisten, die sich mehrfach beim Fachwissen geschlagen geben mussten.
Vorbereitet zu sein, ist alles für Merkel. Oder, wie sie selbst einmal während komplizierter EU-Verhandlungen sagte: »Ich akzeptiere alles, nur nicht, dass es nicht gut vorbereitet ist. Wir haben über alles mindestens fünf Mal geredet.« Dazu gehört übrigens auch minutiöse Nachbereitung wichtiger Treffen, das sogenannte »debriefing« der wichtigsten Punkte und Probleme. Das minimiert die Fehler-Anfälligkeit des Systems Merkel.
Schließlich das Entscheiden . Am Ende einigten sich Ulla Schmidt und Angela Merkel auf einen Kompromiss, der freilich bei nahezu allen Experten als »nicht Fisch und nicht Fleisch«, als »Gemurkse« oder »allerkleinster gemeinsamer Nenner« durchfiel. Merkel hielt dagegen, in typischer Logik: Mehr als eine Y-förmige Lösung, die SPD oder CDU später, bei anderen Regierungsmehrheiten, in jeweils ihrem (sehr unterschiedlichen) Sinne weiterentwickeln könnten, sei unmöglich gewesen. Von keiner Volkspartei könne verlangt werden, dass sie ihre Grundüberzeugungen bei einem Massen-Thema wie Gesundheitspolitik aufgebe. So sehr Angela Merkel objektivierbares Faktenwissen liebt: Die Grenzen der CDU , auf ein SPD -Modell einzusteigen (und umgekehrt), waren für sie mindestens so unumstößlich wie die demographische Entwicklung oder der Risikostrukturausgleich unter den gesetzlichen Krankenkassen. Und darum verteidigte sie ihren Kompromiss mit Ulla Schmidt nicht resigniert, sondern mit einem gewissen Stolz, dass immerhin dieses Optimum erreicht wurde, eben jener Punkt, an dem die beiden Äste des Y auseinandergehen. Allein: Als Union und FDP im Herbst 2009 die Mehrheit in Bundestag und Bundesrat hatten, auf »ihrem« Ast voranzugehen, unterblieb es trotzdem. An einer neuen großen Gesundheitsreform nach den ursprünglichen, fertig vorliegenden CDU -Plänen versuchte sie sich nicht. Warum nicht, hat sie nie erklärt.
Zurück zur Merkel’schen Politik-Methode: Erst will sie also möglichst große Gewissheit für sich selbst und ihre politische Festlegung produzieren, dann für das Publikum, die Betroffenen. Vor deren Augen ein gerade erst angekündigtes oder beschlossenes Gesetz wieder zurückzunehmen, beschädigt nach der festen Überzeugung Merkels das Bürger-Vertrauen in Politik mehr, als ein Gesetz mit fragwürdigen Folgen bestehen zu lassen. Die Senkung der Mehrwertsteuer für Hotels zum Beispiel kam im Herbst 2009 nicht auf Merkels Betreiben in den schwarz-gelben Koalitionsvertrag; ebenso wenig das Betreuungsgeld für Mütter, die ihre Kleinkinder zu Hause erziehen und nicht in die Kita schicken. Beides hätte die Koalition besser bleiben lassen sollen, die Hotelsteuer am Anfang, das Betreuungsgeld gegen Ende der Legislaturperiode. Merkel sagt das selbst. Doch sie handelt nicht danach, weil sie die »Verlässlichkeit« der Regierungs-Arbeit für noch wichtiger hält. Aber wer Gewissheiten zu sehr liebt, den fesseln sie. Das ist ihr Problem.
Zwischen Sammeln und Entscheiden liegt das Zaudern und Zögern, die »Hader-Phase«, wie Merkel es selber nennt. Weder die Opposition noch ihre unionsinternen Gegner lassen eine Gelegenheit aus, sie deswegen als wahlweise führungsschwach, orientierungslos oder feige zu kritisieren. Sie gehe niemals ein Risiko ein, gebe keine Richtung vor, schwimme nur im Schwarm und lege sich erst fest, wenn sich alle festgelegt hätten. Fast acht Jahre geht das nun, und Angela Merkel hat begriffen, wie angreifbar sie dieses Zögern macht. Deshalb ist sie in die Offensive gegangen: »Ich entscheide die Dinge, wenn ich denke, dass sie reif sind«, hat sie so oder so ähnlich schon etliche Male öffentlich gesagt. Das Zaudern soll nämlich eine Tugend sein und ihr Markenzeichen: ›Seht her, Bürger, ich tue mich schwer, weil ich es mir nicht leicht machen will.‹
Das Problem ist: Beide haben recht. Angela Merkel und ihre Gegner. Denn wozu dient das Zaudern in Wahrheit? Es dient der negativen Auswahl unter verschiedenen Varianten, ein Problem zu lösen. Angela Merkel sortiert unter den zunächst denkbaren Lösungen immer weiter aus oder wartet einfach, bis sich bestimmte Lösungs-Varianten von selbst erledigen. Im Idealfall bleibt dann
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