Angela Merkel
Templin. Aber sie glaubt an eine Universalität der Menschenrechte und den Auftrag von Demokratien, sich in aller Welt für diese Menschenrechte einzusetzen. Deshalb gab es schon vor der Georgien-Krise Spannungen zwischen Russland und Deutschland.
Vor ihrer Reise nach Sotschi in der Krise gab es eine Ungewissheit, wer den harten Kurs der Russen in Georgien zuvertreten hat. Als starker Mann trat Putin auf. Die Deutschen hatten die Hoffnung, bei Medwedew eine höhere Versöhnungsbereitschaft zu finden. Merkels Lager hatte sich vor allem das Mittagessen als Gelegenheit ausgeguckt, hinter Medwedews Fassade zu schauen. Politik wird in solchen Situationen zu einem Theater des Menschlichen. Es geht um Psychologie, um Gesten, um Gesichter, um Betonungen, um die Nuancen der Wortwahl. Ein Zucken, ein Zögern kann zur Hoffnung werden. Merkel und Medwedew haben ein relativ entspanntes Mittagessen, aber es gibt kein Anzeichen dafür, dass er andere, mildere Vorstellungen hat als Putin. Bei der Pressekonferenz sind Spannungen deutlich erkennbar. Medwedew greift Saakaschwili an, Merkel kritisiert das russische Vorgehen in Georgien. Beide zeigen Unbehagen, während der andere redet.
Am nächsten Tag fliegt Merkel nach Tiflis. Auf dem Hinflug zeigt sie sich skeptisch gegenüber Saakaschwili, erzählen später Journalisten, die dabei waren. Dann trifft sie den georgischen Präsidenten und gibt danach eine erstaunliche Pressekonferenz. Sie sagt: »Ich glaube, dieses klare politische Statement ist in dieser Situation auch noch einmal sehr wichtig: Georgien ist ein freies, unabhängiges Land, und jedes freie, unabhängige Land kann gemeinsam mit den Mitgliedern der Nato entscheiden, wann und wie es in die Nato aufgenommen wird. Es wird im Dezember eine erste Begutachtung der Situation geben, und wir sind auf einem klaren Weg in Richtung einer Nato-Mitgliedschaft.«
MAP für Georgien? Ein heftiger Kurswechsel der Bundeskanzlerin?
Den Journalisten fällt auf, dass Merkel auf dem Rückflug ganz anders von Saakaschwili erzählt als auf dem Hinflug, viel freundlicher. Was ist passiert? Gab es den menschlichen Moment, einen sympathisch-überzeugenden Auftritt von Saakaschwili, der Merkels Haltung gedreht hat? War es der Ort, die Nähe des Krieges? Merkel äußert sich dazu nicht.
Als sie in Berlin ist, wird klargestellt, dass »Bukarest« weiter gelte, kein MAP, Beitritt zur Nato irgendwann. Aber inzwischen ist die große Deutungs- und Hysterisierungsmaschine auf Hochtouren gelaufen, die Amerikaner freuen sich über einen Kurswechsel der Deutschen, die Georgier schöpfen Hoffnung auf einen zeitnahen Beitritt, im Auswärtigen Amt wird man misstrauisch, weil ein Wechsel nicht abgesprochen war. Es ist nichts kaputtgegangen durch diesen Auftritt, aber er war höchstens »suboptimal«, wie Schröder einmal selbstkritisch über seine Fernsehpolterei am Wahlabend 2005 gesagt hat. Und es war ihr wichtigster öffentlicher Auftritt in dieser Sache, keine Kleinigkeit. Dass die Worte der Bundeskanzlerin manchmal erklärungsbedürftig sind, wird sich auch in der nächsten großen Krise zeigen.
Saakaschwili hat zum Spiegel gesagt: »Keiner meiner internationalen Besucher hat mich kritisiert. Sie haben nach Details gefragt. Aber alle verstehen die Lage hier bestens.« Man muss das nicht glauben. Aber da sich in den Monaten nach dem Krieg immer mehr Indizien fanden,die Saakaschwilis Schuld am Krieg belegen, kann man durchaus feststellen, dass er, der Kriegstreiber, auch von Merkel zu freundlich behandelt wurde.
Etwas anderes gelingt. Das ist das Zusammenspiel mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Der hatte Schröders Kurs fortgesetzt, wollte in Russland einen Wandel durch Verflechtung erreichen, durch eine Wirtschaftsund Modernisierungspartnerschaft mit dem industriell rückständigen Riesenreich. Man hätte sich jetzt gegenseitig vorwerfen können, die Krise geschürt oder Russland falsch eingeschätzt zu haben. Aber das unterblieb. Es herrschte die große Krise, mit Ängsten vor einem dauerhaften Krieg, vor einem Flächenbrand, da auch andere Nachbarn schwierige Verhältnisse mit Russland haben, mit Ängsten vor einem Eingreifen der Amerikaner, vor einem großen Krieg im schlimmsten Fall also. Es kam so nicht, aber es gab diese Stimmung. Und Merkel und Steinmeier taten genau das Richtige, sie stimmten sich eng ab, ihre Lager hielten sich zurück mit den üblichen Sticheleien, und die Bundesrepublik trat nach außen geschlossen auf. Zwar war
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