Angela Merkel
zu speziell. Und die Globalisierung kann nicht sich selbst überlassen werden, schon gar nicht Finanzexperten oderanderen Managern. Ein ungezügelter Ökonomismus treibt uns in den Abgrund. Er vernichtet unseren Wohlstand und führt zur Klimakatastrophe. Es braucht Leute, die der Gier eine Grenze setzen. Das können nur Politiker sein, weil bei ihnen trotz aller Parteilichkeit, trotz aller Egoismen am ehesten ein Sinn für das Gemeinwohl zu erwarten ist.
Denn darum geht es letzten Endes: Wie kann ein Optimum an Gemeinwohl erreicht werden? Die Antwort auf diese Frage fällt im Jahr 2009 dramatisch anders aus als im Jahr 2008. Bis zur Weltfinanzkrise wurde mehrheitlich unterstellt oder hingenommen, dass dem Gemeinwohl am besten gedient ist, wenn es möglichst wenig Zügel für den Einzelnen gibt. Wenn die Gierigen ihrer Gier folgen, haben alle etwas davon, wurde angenommen. Ihr Erfindungsreichtum, ihr Tatendrang sorgt für Wachstum, für Wohlstand nicht nur bei den Gierigen, sondern bei allen, weil ihre Aktivität Arbeitsplätze schafft und die Steuereinnahmen sprudeln lässt. Bis zu einem gewissen Maß bleibt das richtig. Aber es wurde nicht bedacht, dass die Gierigen kein Maß kennen. Es regierte die Maßlosigkeit. Es stellte sich überhaupt nicht die Frage, ob eine neue Erfindung, ein Derivat, eine Verbriefung, eine neue Finanzwette, ein neues Geländewagenmonstrum, eine neue Fluglinie nicht auch gefährlich sein könne, für den Wohlstand, für das Klima. Man sah die Möglichkeiten für einen persönlichen Gewinn und übersah die Gefahren für das Gemeinwohl. Der Gedanke daran spielte überhaupt keine Rolle. Alle waren damit entschuldigt, dass von denErgebnissen der eigenen Gier schon etwas für die Gemeinschaft abfalle. Damit war jede Art von Geschäftstätigkeit soziales Tun.
Damit ist es jetzt vorbei. Daran glaubt niemand mehr. Das aber ist ein dramatischer Paradigmenwechsel, denn es geht um den zentralen Begriff unserer Gesellschaftsordnung. Bis zum Herbst 2008 wurde meist unterstellt, dass Freiheit nur gut ist. Lasst den Menschen Freiheit, dann werden sie schon das Richtige tun. Aber das stimmt eben nicht. Freiheit heißt auch, dem Menschen seinen Entdeckungsdrang zu belassen. Der kennt keine Grenzen, ob in der Gentechnik, der Waffenentwicklung, dem Finanzwesen, der Erfindung immer neuer Konsum- und Verkehrsmöglichkeiten. Was zu entdecken ist, wird entdeckt, und es findet sich immer eine Moral, die das rechtfertigt. Man kann die Welt aber auch zugrunde entdecken, in jedem dieser Bereiche. Diesen Entdeckungseifer zu begrenzen hieße, erheblich in die Freiheiten des Menschen einzugreifen. Auch darin liegen Gefahren. Man muss sich nur die untergegangenen sozialistischen Systeme anschauen.
Gleichwohl, die Freiheit braucht ein Maß. Das zu finden, das durchzusetzen, ist die ganz große Aufgabe der Politik geworden. An dieser Aufgabe darf sie nicht scheitern. Die Politik hat 2006 in der Klimafrage und 2008 in der Finanzfrage damit begonnen, das zu tun. Sie hat das Heft des Handelns wieder in die Hand genommen. Es kommt jetzt immer wieder darauf an, das richtige Maß zu finden. Unter totaler Kontrolle kann sich keine Marktwirtschaftentfalten. Aber totale Freiheit führt in den Abgrund. Damit ist eine große Aufgabe der Politik für die Zukunft beschrieben.
Die andere ist die Verteidigung der Demokratie. 1989 sah es so aus, als hätten Marktwirtschaft und Demokratie den Sieg davongetragen. Der Sozialismus brach zusammen, in der Sowjetunion und deren Satelliten hatte sich der Wille nach Freiheit durchgesetzt. Demokratie und Marktwirtschaft ersetzten das alte System. China ging einen anderen Weg. Dort blieb die kommunistische Partei an der Macht, schaffte aber den Kommunismus ab. Es gelten nun ökonomische Freiheiten, kaum aber politische. Russland brach seinen demokratischen Weg nach ein paar Jahren ab. Als Putin die Präsidentschaft übernahm, errichtete er ein autokratisches Regime. Deshalb gibt es nun wieder einen Dualismus auf globaler Ebene. Auf der einen Seite stehen die Demokratien, vor allem die Länder der EU, die USA, Kanada, Japan, Australien, Neuseeland, Norwegen, die Schweiz. Auf der anderen Seite stehen die autokratischen Marktwirtschaften, vor allem China, Russland, Kasachstan, die Vereinigten Arabischen Emirate, Singapur oder Saudi-Arabien.
Lange wurde geglaubt, Marktwirtschaft und Demokratie seien auf natürliche Art und Weise miteinander verkoppelt. Es gebe das eine nicht ohne das andere. Es
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