Angelfall: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
meine Furchtlosigkeit zu demonstrieren, drehe ich mich um und wende ihm den Rücken zu. Außerdem ist es praktisch, dass meine Hände nun ein kleines bisschen zittern dürfen, während ich in meinem Rucksack nach Essen suche.
»Warum seid ihr Typen überhaupt hier?«, frage ich. »Ich meine, es ist ziemlich offensichtlich, dass ihr nicht für einen freundschaftlichen Plausch vorbeigekommen seid, aber warum wollt ihr uns unbedingt loswerden? Was haben wir verbrochen, um ausgerottet zu werden?«
Er zuckt die Achseln. »Keine Ahnung.«
Ich starre ihn mit offenem Mund an.
»Hey, ich habe da nichts mitzureden«, verteidigt er sich. »Wenn ich ein Marketingprofi wäre, würde ich mir jetzt irgendeine nichtssagende Geschichte ausdenken, die sich irre tiefsinnig anhört. Aber in Wirklichkeit tappen wir alle im Dunkeln. Und manchmal stoßen wir dabei auf etwas Schreckliches.«
»Das ist alles? So willkürlich kann das doch nicht sein.« Ich weiß nicht, was ich hören will, aber das jedenfalls nicht.
»Es ist immer willkürlich.«
Er klingt mehr wie ein routinierter Soldat als wie einer der Engel, von denen ich bisher gehört habe. Eins ist jedenfalls sicher: Viel werde ich nicht aus ihm herausbekommen.
Zum Abendessen gibt es Instantnudeln und Energieriegel, als Nachtisch die kleinen Schokoladentafeln aus dem Büro. Ich wünschte, wir könnten ein Feuer im Kamin machen, aber aus dem Schornstein aufsteigender Rauch wäre ein sicheres Zeichen dafür, dass die Pension bewohnt ist. Das Gleiche gilt für elektrisches Licht. Ich habe ein paar Taschenlampen im Rucksack, aber da mir wieder einfällt, dass die Gang wahrscheinlich wegen der Taschenlampe meiner Mutter auf uns aufmerksam geworden ist, kauen wir im Dunkeln auf unseren trockenen Instantnudeln und den zu süßen Energieriegeln herum.
Raffe schlingt seine Portion so schnell hinunter, dass ich ihn unwillkürlich anstarre. Ich weiß nicht, wann er das letzte Mal etwas gegessen hat – jedenfalls nicht in den letzten beiden Tagen, seit ich ihn kenne. Seine Superheilkräfte scheinen außerdem ziemlich viele Kalorien zu verbrennen. Wir haben nicht viel, aber ich biete ihm die Hälfte meiner Portion an. Wäre er in den letzten Tagen wach gewesen, hätte ich ihm sowieso viel mehr zu essen geben müssen als jetzt.
Ich halte ihm die Lebensmittel so lange hin, bis es ihm peinlich wird. »Willst du nicht?«, frage ich.
»Das hängt davon ab, warum du mir das gibst.«
Ich zucke die Achseln. »Manchmal, wenn wir so im Dunkeln tappen, stoßen wir dabei auf etwas Gutes.«
Er blickt mich noch einen Augenblick an, bevor er meinen Anteil akzeptiert.
»Aber glaub bloß nicht, dass du auch noch meine Scho kolade kriegst.« Ich weiß, ich sollte die Täfelchen aufheben, trotzdem kann ich nicht anders und esse mehr, als ich ursprünglich wollte. Die wächserne Konsistenz und die süße Geschmacksexplosion in meinem Mund spenden mir einen viel zu seltenen Trost, den ich mir nicht entgehen lassen kann. Doch auf keinen Fall dürfen wir mehr als die Hälfte der Vorräte aufessen. Ich verstaue den Rest ganz unten in meinem Rucksack, sodass ich gar nicht erst in Versuchung komme.
Die Gier nach Süßem scheint mir trotz der Dunkelheit deutlich ins Gesicht geschrieben zu stehen, denn der Engel fragt: »Wieso isst du das Zeug nicht einfach? Für morgen finden wir schon was anderes.«
»Das ist für Paige.« Entschlossen mache ich den Reißverschluss zu und ignoriere seinen nachdenklichen Blick.
Ich frage mich, wo meine Mutter wohl steckt. Ich habe immer vermutet, dass sie klüger ist als mein Vater, auch wenn er studiert und einen Master in Maschinenbau hat. Doch ihre animalische Intelligenz wird ihr nicht viel nützen, wenn ihre verrückten Instinkte nach Aufmerksamkeit verlangen. Ich habe ihr einige der schlimmsten Momente meines Lebens zu verdanken. Trotzdem hoffe ich, dass sie einen trockenen Unterschlupf und etwas zum Abendessen gefunden hat.
Erneut wühle ich in meinem Rucksack und finde die letzte Styroportasse mit getrockneten Nudeln. Ich gehe zur Tür und stelle sie nach draußen.
»Was machst du da?«
Ich überlege, ihn über meine Mutter aufzuklären, entscheide mich dann aber dagegen. »Nichts.«
»Warum lässt du Essen draußen im Regen stehen?«
Woher weiß er, dass es Essen war? Es ist viel zu dunkel, als dass er die Nudeltasse hätte erkennen können.
»Wie gut kannst du im Dunkeln sehen?«
Für einen Moment herrscht Schweigen, als würde er erwägen, alles
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