Angelglass (German Edition)
dass ich mich in Peteys Gesellschaft an viel erinnern werde.
Petey bindet sein langes strähniges Haar zu einem Pferdeschwanz und zieht eine dicke Army-Jacke an. »Lass uns gehen, Mann. Wir setzen uns an den Fluss und ziehen einen durch.«
Als wir über die dunkle, kalte und geschäftige Karlsbrücke schlendern, ist es fast acht Uhr. »Mann, ich liebe Prag«, sagt Petey und zieht an seinem Joint. »Ich liebe es, verdammt. Kannst du’s nicht spüren? Ist wie Magie, Mann.«
Ich nicke. Prag hat eine sehr greifbare Atmosphäre. »Wie lange bist du schon hier, Petey?«
Wir bleiben am Denkmal für den Heiligen Wenzel stehen und beobachten die in Schals und dicke Mäntel gepackten Touristen, die auf dem Weg in die Kneipen und Restaurants an uns vorbeihasten. Als Petey mich durch halb geschlossene Augen ansieht und sich der Qualm aus seinem Mund kräuselt, habe ich das Gefühl, dass er mich nicht gehört hat. »Mann, es kommt mir vor wie eine Ewigkeit«, sagt er schließlich. »Glaubst du an Reinkarnation?«
»Reinkarnation?«
»Na, du weißt schon. Vergangene Leben. Wiedergeburt. So ’n Zeugs.«
»Ich weiß nicht? Du?«
Eine ganze Weile antwortet Petey nicht. »Ich bin nach Prag gekommen – wann, vor zwei Jahren? In der Minute, als ich aus dem Zug stieg, wusste ich, dass ich schon mal hier gewesen bin. Ich wusste sofort, wo ich langgehen musste, und hatte das Gefühl, alle Straßen und Gebäude schon Millionen Mal zuvor gesehen zu haben. Hast du auch manchmal dieses Gefühl?«
Plötzlich muss ich an die Spaziergänge in den frühen Morgenstunden denken; wie mich meine Füße ganz zielbewusst von Malá Strana zum Schloss und ins Jüdische Viertel trugen. »Ja«, sage ich nachdenklich. »Ich kenne das Gefühl.«
»Das ist Prag«, erwidert Petey ganz ruhig. »Es ist so, als wären wir alle schon mal in früheren Leben hier gewesen. Tief im Innern wissen wir es und sind irgendwie ganz unbewusst wieder hierher zurückgekommen.«
»Glaubst du, dass deswegen auch die anderen hier sind?«, frage ich. »Weil sie sich … irgendwie dazu gezwungen fühlten?«
»Wie’s den anderen ergeht, kann ich nicht sagen, aber so ist mein Gefühl. Ich hab mich nach dem College etwas herumgetrieben und mich drüben in den Staaten dem antikapitalistischen Netzwerk angeschlossen. Ich war auf großen Demos in Seattle und London, und dann hat’s mich nach Prag gezogen. Als ich Cody auf einer Party begegnet bin, hab ich noch in einer furchtbaren Bruchbude im Žižkov-Viertel gewohnt. Cody steht total auf diese ganze Anti-Globalisierungsnummer. Er ist fanatisch, weißt du. Ich hatte bloß immer das Gefühl, genau das Richtige zu machen, aber Cody ist total besessen. Vermutlich ist er mal als Kind fast an ’nem Burger von Burger King erstickt oder so was.«
»Dann hast du John also durch Cody kennengelernt?«
»Ja, sie hatten schon das Haus in Malá Strana. Padraig war bereits da, dann kam ich, danach Jenny und dann Karla. Ist ’ne gute Zusammenstellung, Mann. Eine richtige Keimzelle. John ist echt der Hammer.«
»Ich freue mich darauf, ihn kennenzulernen.«
Petey schnippt die Kippe in Richtung der träge dahinfließenden Moldau und sucht in seinen Taschen nach einem neuen Joint. »Er ist ziemlich radikal. Ich muss auch zugeben, dass er einem manchmal ganz schön Angst machen kann, aber ohne ihn hätten wir nichts auf die Reihe gekriegt.«
Ich ahne eine Möglichkeit, etwas mehr über die Gruppe zu erfahren. »Was genau macht ihr eigentlich, Petey?«, frage ich, als er seinen Joint anzündet.
»Wir legen die Kultur ein bisschen lahm. Adbusting, Schabernack. Das Übliche. Cody will immer, dass wir noch viel härter vorgehen. ›Wir müssen sie FERTIGMACHEN, VERDAMMT !‹« Petey kichert über seine Nachahmung von Cody. »Aber John hat das Sagen. Er will, dass wir den Ball flach halten, zumindest bis zum 15. November.«
»Was passiert denn da?«
»Am 15. November? Das ist die große Sache, Mann. Die Ölindustrie-Konferenz der Welthandelsorganisation in Prag. Diese Protestaktion gegen die führenden Wirtschaftsnationen wird die größte Demo, die die Welt je gesehen hat. Wenn du dann noch bei uns bist, kannst du gerne mitmachen. Es wird echt der Wahnsinn, Mann. Der Wahnsinn.«
Nachdem ich einige Nächte durch die feuchten kühlen Straßen der Stadt gegeistert bin, entscheide ich mich zu schlafen. Oder mich zumindest den verzerrten Bildern hinzugeben, die sich in den wenigen ruhigen Stunden hinter meinen Augen abspielen.
Als ich
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