Angelglass (German Edition)
Ausgleichs, die in ein Werkzeug verwandelt werden kann, um das Salz und den Schwefel zu bearbeiten und etwas Neues zu erschaffen. Der Fluch der Alchemisten besteht nun darin, dass sie ihr ganzes Leben mit der Suche nach diesem dritten Element verbringen.«
Nach einem kurzen Schweigen ergreift Kepler das Wort. »Manche behaupten, dieses für die Alchemie unbedingt erforderliche Element sei der sagenumwobene Stein der Weisen. Er könne die Geheimnisse der dreifaltigen Natur freilegen sowie höchste Wahrheit und ewige Jugend gewähren. Es wird behauptet, dass Doktor Dee …«
Brahe wirft Kepler einen warnenden Blick zu. »Genug Gerede. Dee ist ein Scharlatan und Narr. Und schon in Kürze wird er als solcher entlarvt werden. Nun, ich muss jetzt zu meinen Berechnungen zurückkehren und unverzüglich einen Bericht für den Kaiser anfertigen.«
Während Brahe sich wieder in seine Aufzeichnungen vertieft, macht sich Kepler daran, die Werkbank aufzuräumen. Ich sitze untätig da und denke über Brahes Ausführungen nach, als mein Blick plötzlich auf eine Reihe von Schautafeln an der Wand fällt, die farbige und einander umkreisende Himmelskörper zeigen. »Was ist das?«, frage ich. »Noch mehr Alchemie?«
Brahe sieht kurz auf. »Anscheinend haben wir unseren Gast mit den Ausführungen über die Alchemie noch nicht ermüdet, Meister Kepler«, seufzt er. »Berichte ihm ruhig von unseren anderen Forschungen.«
Kepler steht schon neben mir, bevor Brahe auch nur seinen Satz beendet hat. »Auf diese Arbeit sind wir sehr stolz«, sagt er aufgeregt grinsend. »Wir bringen hiermit die Gesetze der Planetenbewegungen auf eine Formel. Ein Großteil davon beruht auf meinen Beobachtungen. Es interessiert mich sehr.«
Ich betrachte die Schautafel. In ihrer Mitte ist die Darstellung eines flammenden Feuerballs erkennbar. »Dies ist wohl die Sonne?«
Kepler scheint erstaunt, und selbst Brahe blickt wieder auf. »Nun, in der Tat«, erwidert der junge Alchemist und sieht zu seinem Lehrmeister hinüber. »Kommt Euch das denn nicht seltsam vor, Meister Poutnik? Die Sonne im Zentrum des Universums?«
Ich zucke mit den Schultern. »Dabei handelt es sich gar nicht einmal um eine neue Denkweise«, fährt Kepler fort. »Kopernikus selbst hat sie aufgebracht. Doch die meisten Leute lehnen diese Idee noch immer ab und verabscheuen es geradezu, das Konzept unserer Welt als Mittelpunkt des Himmels aufzugeben.«
Brahe mischt sich wieder ein. »Meister Kepler hat sorgfältige Beobachtungen der Planeten vorgenommen und die Arbeiten von Kopernikus vervollkommnet. Ich würde sogar so weit gehen zu behaupten, dass sein Werk den kommenden Generationen als Modell astronomischer Studien dienen wird.«
Als Kepler voller Stolz errötet, sehe ich mir das Diagramm der Planeten in ihren kreisförmigen Bewegungen um die Sonne etwas genauer an. »Ich würde sagen, Ihr seid ein weiser Mann, wenn Ihr dies behauptet.«
Plötzlich ist ein Klopfen zu hören. Kepler öffnet die Tür einem Boten vom Schloss. »Der Kaiser hat Euch gerufen, Meister Poutnik«, sagt er.
Brahe steht auf und begleitet mich zur Tür. »Ich denke, ich habe alle nötigen Messungen und Untersuchungen vorgenommen. Ich werde jetzt meine Berechnungen fortsetzen und dem Kaiser in Kürze meinen Bericht vorlegen.«
»Was, glaubt Ihr, werden Eure Untersuchungen ergeben?«
Brahe sieht mich nachdenklich an. »Ihr seid ein seltsamer Mann, Meister Poutnik. Ein seltsamer Mann. Wisst Ihr noch, was ich Euch über die dreifaltige Natur erzählt habe? Über die Dualität von Salz und Schwefel?«
Ich nicke.
»Ich habe nichts davon in Euch gefunden, Meister Poutnik. Keinen Konflikt. Entweder seid Ihr das ausgeglichenste menschliche Wesen, das ich je gesehen habe, oder …«
»Oder?«
»Oder … Ihr seid weder Salz noch Schwefel. Wenn ich nicht wüsste, dass es unmöglich ist, Meister Poutnik, so würde ich sagen, dass Ihr gänzlich Quecksilber seid. Das ausgleichende Element. Die vereinigende Kraft. Fast so, als wäret Ihr in den endlosen Kampf auf diesem Erdenball geworfen worden, um eine Art von Lösung hinzuzufügen.«
Brahe schüttelt den Kopf und scheint seine Worte zu bereuen. »Ich rede Unsinn, doch ich möchte Euch eine Mahnung mit auf den Weg geben – etwas, was in meinem Bericht für den Kaiser nicht erscheinen wird. Die Alchemie ist eine launenhafte Kunst. Eines der vielen Probleme dabei ist die Tatsache, dass die Hinzufügung von Quecksilber durchaus einen Ausgleich schaffen kann –
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