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Angelglass (German Edition)

Angelglass (German Edition)

Titel: Angelglass (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Barnett
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jedoch nicht ohne einen Preis. Häufig wird das Quecksilber vom Salz oder vom Schwefel polarisiert; im Wesentlichen wird es entweder zum einen oder zum anderen, um so das Gleichgewicht herzustellen. Vergesst das nicht und nehmt Euch in Acht, Meister Poutnik. Nehmt Euch in Acht.«

Kapitel 7 Nächtliche Spaziergänge
    Die Tage vergehen. Ich richte mich in der bequemen Routine meiner Arbeit im
Leopold Bloom
ein, entspanne mich im Haus und entdecke Prag. Ich habe festgestellt, dass ich gar nicht richtig schlafen muss. Wenn ich mich hinlege und die Augen schließe, überkommt mich zwar eine Art von Schlaf, meine Träume hingegen sind von seltsamen Visionen erfüllt, die sich gleich nach dem Erwachen wieder verflüchtigen. Aber da ich nicht schlafen muss, fühle ich mich auch nicht müde. Deshalb habe ich begonnen, nachts in den Straßen umherzulaufen; die Moldau über eine Brücke hinweg zu überqueren und für den Rückweg eine andere zu nehmen; mich in den schmalen Kopfsteinpflasterstraßen von Malá Strana zu verlieren; den hellen und lebhaften Wenzelsplatz entlangzulaufen; meine Augen zu schließen und mich dabei gegen Mitternacht auf dem stillen Altstädter Ring von Geistern umgeben zu fühlen; meine Jacke enger um mich zu ziehen und den Weg zum Hradschin einzuschlagen. Zum Schloss.
    ›Zum Schloss‹,
sagt Karla. Auf meinen nächtlichen Streifzügen muss ich oft an Karla denken. Wie sehr sie mich verwirrt, wie sehr mich alle verwirren. Alle sind so unterschiedlich, und dennoch zusammengeschweißt aus Gründen, die sich meinem Verständnis entziehen. Von einer Gemeinsamkeit zusammengehalten, die ich noch nicht ganz durchschaue. Karla hat mir mit einfachen Worten erklärt, wie sehr sie die großen Unternehmen verabscheuen, die alles kontrollieren, angefangen bei der Musik, die wir hören, bis hin zu den Klamotten, die wir tragen. Und alles auf Kosten der ärmsten Menschen überall in der Welt, deren Aufgabe es ist, die modernen Kinkerlitzchen unserer Zivilisation herzustellen, doch für ihre Mühe nur mit Cents entlohnt werden. Sie hat mir erklärt, wie diese Unternehmen es schaffen, unseren Planeten langsam aber sicher zu zerstören, und wie sie in geheimem Einverständnis mit den Regierungen stehen und sich die Unterschiede zwischen ihnen bis zur Unkenntlichkeit verwischt haben.
    »Ein bösartiges Imperium«, sagt Karla zu mir. Ihre Worte versetzen mich in einen Ozean vergessener Erinnerungen, die außerhalb meiner Reichweite wie Fische in den dunklen Tiefen umherschwirren.
    Das also sind die Ketten, die sie verbinden. Karla, Petey, Cody, Jenny, Padraig und der mysteriöse John, von dem ich so wenig verstehe. Sie scheinen Angst vor ihm zu haben, sind ehrfürchtig erstarrt und in Liebe ergeben. Offenbar ist er so charismatisch wie sagenumwoben.
    Nur Karla hat eine gesunde Skepsis gegenüber John erkennen lassen. Padraig betrachtet ihn als natürlichen Anführer, einen Rebellen, dessen Maßstäben der Ire sich dankbar unterwirft; Petey sieht ihn als eine Art Mystiker, einen Bodhisattva, einen Retter. Karla misstraut ihm, und dennoch bleibt sie.
    Mir ist klar geworden, dass ich nicht nur auf Schlaf verzichten kann, sondern auch auf Essen. Ich habe niemals Hunger, und oftmals schiebe ich mein Essen nur lustlos auf dem Teller herum, während ich den gemütlichen Unterhaltungen im Haus lausche. Wenn ich arbeite oder mich alleine im Haus aufhalte, vergesse ich manchmal, überhaupt etwas zu essen oder zu trinken.
    Heute ist Dienstag. Als Padraig erneut einen Lammbraten für den ganzen Haushalt bereitet – zum ersten Mal seit meiner Ankunft sind alle wieder einmal gemeinsam versammelt –, wird mir bewusst, dass Karla mich schon vor über einer Woche auf ihrem Pferd im Letná Park gefunden hat. Nach dem Essen helfe ich Karla beim Abwasch.
    »Hattest du keinen Hunger?«, fragt sie und blickt auf die kaum angerührte Mahlzeit auf meinem Teller. »Ich habe im Pub etwas gegessen«, sage ich ausweichend, kratze die Essensreste von den Tellern in einen Plastikbeutel. Ich bin mir nicht sicher, wieso ich eigentlich lüge – vielleicht, weil ihnen mein mangelnder Appetit komisch vorkommen könnte, vielleicht aber auch, weil ich ihre Gefühle nicht verletzen möchte, nachdem sie mich so großzügig aufgenommen haben. Möglicherweise sollte ich auch mehr essen, aber wenn ich manchmal beobachte, wie sie sich vollstopfen, überkommt mich eine unerklärliche Übelkeit.
    Karla lässt heißes Wasser aus den altmodischen Stahlhähnen ins

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