Angélique - Am Hof des Königs
Hinterlist angeht, einen guten Lehrer. Jedenfalls ist er der Einzige, der einen solchen außerordentlichen und geheimen Verhaftungsbefehl wieder aufheben kann. Weder Le Tellier noch Séguier oder irgendwelche Richter wären dazu befugt. In Ermangelung des Königs müssen wir versuchen, an die Königinmutter heranzutreten, die großen Einfluss auf ihren Sohn hat, oder an seinen jesuitischen Beichtvater, vielleicht sogar an den Kardinal.«
»Ich habe mit der Grande Mademoiselle gesprochen«, entgegnete Angélique. »Sie hat versprochen, Erkundigungen einzuziehen und mir anschließend zu berichten, was sie herausgefunden hat. Aber sie hat gesagt, dass ich nicht auf irgendwelche Ergebnisse hoffen dürfe, ehe … der König … wieder … in Paris ist …«
Angélique vollendete ihren Satz nur mit Mühe. Seit der Advokat den Scheiterhaufen erwähnt hatte, wurde ihr zunehmend übel. Sie spürte, wie ihre Schläfen feucht wurden, und fürchtete, gleich ohnmächtig zu werden. Sie hörte, wie Desgrez ihr zustimmte.
»Ich bin ganz ihrer Meinung. Vor dem feierlichen Einzug des
Königs können wir nichts tun. Das Beste für Euch wäre, in aller Ruhe hier abzuwarten. Ich für mein Teil werde versuchen, mit meinen Nachforschungen weiterzukommen.«
Wie im Nebel stand Angélique auf und streckte die Hände aus. Ihre kühle Wange traf auf den steifen Stoff eines Priestergewands.
»Dann seid Ihr also bereit, ihn zu verteidigen?«
Der junge Mann schwieg einen Moment, bevor er antwortete.
»Ich hatte noch nie Angst um meine Haut«, sagte er schließlich unwirsch. »Ich habe sie ein Dutzend Mal bei törichten Wirtshausschlägereien aufs Spiel gesetzt. Dann kann ich sie ja auch noch einmal für eine gerechte Sache riskieren. Aber Ihr müsst mir Geld geben, denn ich bin arm wie eine Kirchenmaus, und der Altkleiderhändler, bei dem ich die Verkleidungen miete, ist ein elender Dieb.«
Seine starken Worte schenkten Angélique neue Kraft. Dieser Junge war sehr viel ernsthafter, als sie anfangs geglaubt hatte. Unter der realistischen, ungenierten Schale verbarg sich eine genaue Kenntnis aller Winkelzüge, die es in Rechtsangelegenheiten anzuwenden galt, und sicher widmete er sich den Aufgaben, die man ihm übertrug, sehr gewissenhaft.
Angélique ahnte, dass das nicht bei allen jungen Advokaten der Fall war, die frisch von der Universität kamen, denn wenn sie einen großzügigen Vater hatten, hatten sie oft nichts anderes im Sinn, als eitel herumzustolzieren.
Sie fand ihre Gelassenheit wieder und gab ihm hundert Livres. François Desgrez warf einen rätselhaften Blick auf das blasse Gesicht, dessen grüne Augen im stumpfen Halbdunkel des nach Tinte und Siegelwachs riechenden Arbeitsraums wie Edelsteine leuchteten, und ging nach einer kurzen Verabschiedung davon.
Angélique musste sich am Treppengeländer festhalten, während sie die Stufen zu ihrem Zimmer hinaufstieg. Diesen Schwächeanfall hatte sie sicher den Aufregungen der vergangenen
Nacht zu verdanken. Sie würde sich hinlegen und versuchen, ein wenig zu schlafen, auch wenn Hortense das unweigerlich wieder mit sarkastischen Bemerkungen kommentieren würde. Doch kaum war sie oben angekommen, als ihr schon wieder übel wurde, und sie schaffte es gerade noch, ihre Waschschüssel zu erreichen.
Was ist bloß mit mir los?, fragte sie sich erschrocken.
Was, wenn Marguerite die Wahrheit gesagt hatte? Wenn tatsächlich jemand versuchte, sie umzubringen? Der Anschlag auf die Kutsche, die gedungenen Mörder im Louvre, wollte man sie nun etwa vergiften?
Doch plötzlich glätteten sich die Sorgenfalten in ihrem Gesicht, und ein strahlendes Lächeln breitete sich auf ihren Zügen aus.
Ach, was bin ich doch für eine dumme Gans! Ich bin schwanger, das ist alles!
Sie erinnerte sich daran, dass sie sich bereits bei der Abreise aus Toulouse gefragt hatte, ob sie vielleicht ein zweites Kind erwartete. Und jetzt war kein Zweifel mehr möglich.
Joffrey wird so glücklich sein, wenn er aus dem Gefängnis kommt, dachte sie.
Diese Erkenntnis schaffte es, den bitteren Nachgeschmack der vergangenen Nacht zu mildern. Sie erschien ihr wie eine Antwort des Himmels auf ihre Verzweiflung. Trotz aller tödlichen Schläge ging das Leben weiter.
Sie brannte darauf, ihr schönes Geheimnis mit jemandem zu teilen, doch Hortense würde bestimmt eine bissige Bemerkung darüber machen, dass man nicht sicher sein könne, wer denn der Vater des Kindes sei. Und ihren Schwager, den Prokurator, der um diese Zeit
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