Angélique - Am Hof des Königs
mit immer stärker schmerzenden Gliedern vor dem Advokaten Talon kniete, würde diese Neuigkeit kaltlassen.
Schließlich ging sie hinunter in die Küche, nahm Florimond auf den Arm und verkündete ihm und Barbe die frohe Nachricht.
FÜNFTER TEIL
Der Einzug des Königs
Kapitel 21
A ngélique machte sich in der Küche nützlich oder spielte mit Florimond, der unermüdlich durchs Haus rannte und über sein langes Kleid stolperte. Hortenses Kinder vergötterten ihn. Von seinen kleinen Cousins, Barbe und der jungen Magd aus dem Béarn verwöhnt, schien er glücklich zu sein und hatte wieder runde rote Wangen bekommen. Angélique stickte ihm eine kleine rote Haube, unter der sein niedliches, von schwarzen Locken eingerahmtes Gesicht die ganze Familie in Entzücken versetzte. Sogar Hortense begann zu lächeln und bemerkte, dass ein Kind in diesem Alter durchaus bezaubernd sei. Sie selbst habe leider nie genug Geld gehabt, um sich eine Amme ins Haus zu nehmen, weshalb sie ihre Kinder immer erst kennenlernte, wenn sie vier Jahre alt wurden. Schließlich könne ja nicht jeder einen hinkenden, entstellten Grafen heiraten, der durch einen Pakt mit dem Teufel reich geworden sei, und es sei immer noch besser, die Frau eines Prokurators zu sein, statt seine Seele zu verlieren.
Angélique hörte einfach nicht hin. Um ihren guten Willen zu beweisen, besuchte sie jeden Morgen in der wenig vergnüglichen Gesellschaft ihres Schwagers und ihrer Schwester die Messe. Mit der Zeit lernte sie die besonderen Eigenheiten der Île de la Cité kennen, die in zunehmendem Maße von Juristen bevölkert wurde.
Die meisten von ihnen führten ein ehrbares, nüchternes Leben. Morgens beeilten sie sich, rasch die Messe zu hören, ehe sie in den Justizpalast hasteten. Nachmittags kehrten sie in ihre
Kanzleien zurück, wo neue Verpflichtungen auf sie warteten. Von der Welt kannten sie nur die neidische, betrügerische und hässliche Seite und zogen ihren Nutzen aus all diesen Schändlichkeiten. Zur Entspannung spielten sie vor den Augen der verdutzten, durch den Jargon ihres Berufsstands eingeschüchterten Passanten Boule auf den Seine-Quais. Sonntags zwängten sie sich mit Freunden in gemietete Karossen und fuhren hinaus in die Vororte, wo jeder Beamte ein kleines Stück Land und eine Parzelle auf einem Weinberg besaß.
Auf den zweiten Blick jedoch teilten sich die Robenträger die Herrschaft über die Insel mit den Chorherren von Notre-Dame und den Dirnen aus der Rue de Glatigny. Das berühmte »Tal der Liebe« lag in der Nähe des Pont-aux-Meuniers 20 , weshalb der Lärm der Mühlräder die Geräusche der Küsse und weniger unschuldigen Vergnügen überdeckte.
Unter der Woche wimmelte es rings um den Justizpalast und Notre-Dame, in den Sprengeln von Saint-Aignan und Saint-Landry und entlang der Seine-Ufer von Gerichtsdienern, Prokuratoren, Richtern und Parlamentsräten.
Schwarz gekleidet, mit Kragen, Umhang und manchmal auch in ihrer Robe, eilten sie hin und her, in den Händen die Beutel mit ihren Akten, unter die Arme Berge von Papier geklemmt. Sie füllten die Treppen des Justizpalasts und die umliegenden Gassen. Ihr Treffpunkt war die Schenke zum Schwarzen Kopf. Dort leuchteten vor dampfenden Ragouts und dickbäuchigen Flaschen die runden, roten Gesichter der Richter.
Am anderen Ende der Insel, auf dem lärmenden Pont-Neuf, zeigte sich ein anderes Paris, das die ehrenwerten Rechtsgelehrten nur höchst ungern in ihrem Schatten erblühen sahen.
Wenn man einen Lakaien wegen einer Besorgung in diese Richtung schickte und ihn fragte, wann er wieder zurück sein werde, lautete die Antwort: »Das hängt davon ab, welche Lieder heute auf dem Pont-Neuf zu hören sind.«
Neben Liedern erblickte in dem ununterbrochenen Gedränge rings um die Kramläden auch ein ganzer Schwarm von Gedichten, Schmähschriften und Pamphleten das Licht der Welt. Auf dem Pont-Neuf erfuhr man alles. Und die Großen hatten die schmutzigen Blätter zu fürchten gelernt, die der Seine-Wind davontrug.
Als die Familie eines Abends vom Tisch aufstand und nach dem Essen noch ein Glas Quitten- oder Himbeerwein genoss, zog Angélique ein Blatt Papier aus der Tasche.
Sie musterte es überrascht, ehe sie sich mit leisem Unbehagen daran erinnerte, dass sie es am Morgen jenes fürchterlichen Besuchs in den Tuilerien, der inzwischen so lange zurückzuliegen schien, für zehn Sols von einem armen Schlucker auf dem Pont-Neuf gekauft hatte. Sie begann halblaut zu lesen:
»Kommt mit
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