Angélique - Am Hof des Königs
Angélique.
»In meinem Gewerbe nicht, nein. Solche Maskeraden würden auch meiner Advokatenehre widersprechen. Aber ich muss ja schließlich leben. Wenn ich es leid bin, auf den Treppen des Justizpalastes Mandanten zu angeln, um einen Prozess zu führen, der mir läppische drei Livres einbringt, biete ich meine Dienste der Polizei an. Es würde mir schaden, wenn das bekannt
würde, aber ich kann immer noch behaupten, ich betriebe die Nachforschungen für meine Mandanten.«
»Ist es nicht etwas gewagt, sich als Geistlicher zu verkleiden?«, wollte Angélique wissen. »Ihr könntet in die Verlegenheit kommen, ein Sakrileg zu begehen.«
»Ich gehe nirgendwohin, um die Sakramente zu spenden, sondern trete lediglich als geistlicher Beistand auf. Die Robe weckt Vertrauen. Nichts erscheint argloser als ein Kaplan, der gerade erst das Seminar verlassen hat. Man erzählt ihm alles Mögliche. Natürlich weiß ich auch, dass das nicht besonders rühmlich ist. Nicht wie Euer Schwager Fallot, der mit mir zusammen an der Sorbonne studiert hat. Der Mann wird es noch weit bringen! Während ich an der Seite einer liebenswürdigen jungen Dame den zappeligen jungen Priester spiele, wird er als würdevoller Jurist den ganzen Morgen im Justizpalast verbringen und auf Knien dem Plädoyer von Maître Talon in einer Erbschaftssache lauschen.«
»Wieso denn auf Knien?«
»Das ist seit Heinrich IV. Tradition bei Gericht. Der Prokurator bereitet lediglich alle Unterlagen vor, wohingegen der Advokat im Prozess verhandelt. Der Advokat steht im Rang über dem Prokurator. Dieser muss knien, während der andere redet. Aber der Advokat leidet Hunger, während der Prokurator einen fetten Wanst vor sich herträgt. Ach ja, er hat seinen Anteil an den zwölf Stufen des Verfahrens verdient.«
»Das erscheint mir recht kompliziert.«
»Versucht trotzdem, Euch diese Einzelheiten zu merken. Sie könnten wichtig werden, falls wir es schaffen, dass Eurem Gemahl der Prozess gemacht wird.«
»Glaubt Ihr wirklich, dass es so weit kommen muss?«, schrie Angélique auf.
»Wir müssen unbedingt so weit kommen«, bestätigte der Advokat ernst. »Das ist unsere einzige Hoffnung, ihn zu retten.«
In Maître Fallots kleinem Nebenraum nahm er die Perücke ab und fuhr sich mit der Hand durch das struppige Haar. Sein Gesicht, das von Natur aus fröhlich und lebhaft zu sein schien, nahm mit einem Mal einen sorgenvollen Ausdruck an. Angélique setzte sich an den kleinen Tisch und begann gedankenverloren mit einem der Gänsekiele des Prokurators zu spielen.
Sie wagte nicht, Desgrez noch eine Frage zu stellen. Doch schließlich hielt sie es nicht mehr aus.
»Habt Ihr ihn gesehen?«
»Wen?«
»Meinen Gemahl.«
»Oh! Nein, das ist vollkommen unmöglich. Er ist völlig von der Außenwelt abgeschottet. Der Gouverneur der Bastille haftet mit seinem eigenen Kopf dafür, dass er mit niemandem spricht und auch keine Briefe schreibt.«
»Wird er gut behandelt?«
»Im Augenblick, ja. Er hat ein Bett und zwei Stühle, und er bekommt das gleiche Essen wie der Gouverneur. Ich habe mir sagen lassen, dass er häufig singt. Mit dem kleinsten Gipsbröckchen, das er findet, zeichnet er mathematische Formeln an seine Zellenwand, und außerdem soll er damit begonnen haben, zwei riesige Spinnen zu zähmen.«
»O Joffrey«, flüsterte Angélique mit einem Lächeln. Doch ihre Augen füllten sich mit Tränen.
Also lebte er und war kein blindes, taubes Gespenst geworden. Die Mauern der Bastille waren noch nicht dick genug, um den Widerhall seiner Lebenskraft zu ersticken.
Sie schaute zu Desgrez auf.
»Danke, Maître.«
Der Advokat blickte verstimmt zur Seite.
»Dankt mir nicht. Die Angelegenheit ist äußerst kompliziert. Ich muss Euch gestehen, dass mich diese wenigen Informationen
bereits den ganzen Vorschuss gekostet haben, den Ihr mir gegeben habt.«
»Geld spielt keine Rolle. Sagt mir nur, was Ihr für nötig erachtet, um Eure Untersuchungen weiterzuführen.«
Aber noch immer wich der junge Mann ihrem Blick aus, als sei er trotz seiner Redegewandtheit äußerst verlegen.
»Um die Wahrheit zu sagen«, erklärte er schließlich brüsk, »frage ich mich sogar, ob ich nicht versuchen sollte, Euch dieses Geld wieder zurückzugeben. Ich glaube, ich war etwas unvorsichtig, als ich diese verwickelte Angelegenheit übernommen habe.«
»Ihr wollt meinen Gemahl nicht mehr verteidigen?«, rief Angélique.
Gestern noch hatte sie diesen Advokaten, der trotz seiner brillanten
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