Angelique Der Gefangene von Notre Dame
Dabei ist das Einzige, dem du nachtrauerst, sein Vermögen.«
»Schrei nicht so«, entgegnete Angélique. »Glaub mir, ich helfe dir liebend gern beim Einkochen. Ich kenne ein paar sehr gute Rezepte aus dem Süden.«
Mit ihrem Zuckerhut in der Hand richtete sich Hortense zu ihrer vollen GröÃe auf wie eine klassische Tragödin.
»Niemals«, versetzte sie scharf, »niemals werde ich zulassen, dass du das Essen anfasst, das ich für meinen Mann und meine Kinder koche! Ich habe nicht vergessen, dass du mit einem Teufelsanbeter verheiratet bist, einem Hexenmeister und Giftmischer. Es ist durchaus möglich, dass du zu seinem willenlosen Werkzeug geworden bist. Gaston hat sich verändert, seit du hier bist.«
»Dein Mann? Ich schaue ihn doch nicht einmal an.«
»Aber er schaut dich sehr viel häufiger an, als sich ziemt. Dir sollte doch klar sein, dass sich dein Aufenthalt hier ungebührlich in die Länge zieht. Du hattest von einer Nacht gesprochen...«
»Glaub mir, ich gebe mir alle erdenkliche Mühe, die Situation zu klären.«
»Mit deinen Bemühungen erreichst du nur, dass man auf dich aufmerksam wird, und dann wirst du selbst noch eingesperrt.«
»Inzwischen frage ich mich, ob ich im Gefängnis nicht tatsächlich besser aufgehoben wäre. Zumindest wäre ich dort umsonst untergebracht, und mir bliebe der ganze Ãrger hier erspart.«
»Du weiÃt ja nicht, wovon du redest, meine Hübsche«, erwiderte Hortense mit einem höhnischen Lachen. »Das Gefängnis kostet dreizehn Sols pro Tag, und weil ich deine einzige Verwandte bin, würde man die ganz gewiss von mir einfordern.«
»So teuer ist das doch gar nicht. Auf jeden Fall weniger als das, was ich dir jetzt gebe. Ganz zu schweigen von den Kleidern und dem Schmuck, die ich dir überlassen habe.«
»Mit zwei Kindern sind es dreiÃig Sols pro Tag.«
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Angélique seufzte müde.
»Komm, Florimond«, forderte sie den Jungen auf. »Du siehst doch, dass du Tante Hortense störst. Die Obstdämpfe vernebeln ihr das Gehirn, und sie redet nur noch Unsinn.«
Der Kleine rannte auf sie zu, wobei er erneut seine blitzende
Rassel schwang. Das brachte das Fass zum Ãberlaufen, und Hortense geriet völlig auÃer sich.
»Genau wie diese Rassel!«, schrie sie. »Meine Kinder haben nie so etwas gehabt. Du beklagst dich, du hättest kein Geld mehr, und dann kaufst du deinem Sohn so ein teures Spielzeug.«
»Er wollte es doch so gern haben. AuÃerdem war die Rassel gar nicht so teuer. Das Kind des Flickschusters hat eine ähnliche.«
»Jeder weiÃ, dass das gemeine Volk nicht sparen kann. Sie verwöhnen ihre Kinder und erziehen sie nicht. Denk daran, dass du arm bist und ich nicht die geringste Absicht habe, dich auszuhalten, ehe du das nächste Mal solche unnützen Dinge kaufst.«
»Das verlange ich doch auch gar nicht von dir«, erwiderte Angélique verletzt. »Sobald Andijos zurück ist, ziehe ich in eine Herberge.«
Mitleidig lächelnd zuckte Hortense die Schultern.
»Du bist ja noch dümmer, als ich dachte. Du hast weder eine Ahnung von Gesetzen noch vom Vorgehen der Justiz. Dein Marquis dâAndijos wird dir überhaupt nichts mitbringen.«
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Hortenses traurige Prophezeiung sollte sich bald bewahrheiten.
Als der Marquis dâAndijos in Begleitung des treuen Kouassi-Ba endlich zurückkam, berichtete er Angélique, dass die gesamten Besitztümer des Grafen in Toulouse ebenfalls versiegelt worden waren. Er hatte lediglich tausend Livres auftreiben können, die ihm zwei bedeutende Pächter des Gefangenen geliehen hatten, nachdem er ihnen strengste Verschwiegenheit zugesichert hatte. Der gröÃte Teil von Angéliques Schmuck, das goldene und silberne Geschirr und die meisten der kostbaren Gegenstände aus dem Palast der Fröhlichen Wissenschaft, darunter auch die Gold- und Silberbarren, waren beschlagnahmt und teils zum Sitz des Sénéchaussée-Gerichts von Toulouse, teils nach Montpellier gebracht worden.
Andijos wirkte verlegen. Er hatte seine gewohnte redselige Herzlichkeit verloren und sah sich immer wieder flüchtig um. Weiter erzählte er, dass ganz Toulouse nach der Verhaftung des Grafen de Peyrac in Aufruhr geraten sei. Da das Gerücht umging, der Erzbischof sei dafür verantwortlich, war es rings um den bischöflichen Palast zu einem
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