Angélique - Die junge Marquise - Golon, A: Angélique - Die junge Marquise - Angélique 01. Marquise des Anges
Ausschau nach ihrem Vater. Sobald sie ihn über den schlammigen Weg herankommen sah, auf den Gehstock mit dem silbernen Knauf gestützt, der seinen einzigen Luxus darstellte, lief sie in die Küche und schlüpfte in ihre Schuhe und ihren weiten Mantel. Dann ging sie zu ihrem Vater in den Stall, wo der Baron, der über Molines’ Nachricht informiert worden war, eben sein Pferd satteln ließ.
»Darf ich Euch begleiten, Vater?«, bat sie mit ihrem entzückendsten Lächeln.
Es lag ein kleiner Hintergedanke in dieser Bitte, denn sie war schon immer vom Besitz des Marquis du Plessis fasziniert gewesen, den der Sieur Molines verwaltete, aber sie liebte auch die Gesellschaft ihres Vaters, dieses guten, schweigsamen Mannes mit der gebräunten Stirn, in die die täglichen Aufgaben tiefe Furchen gegraben hatten.
Er konnte nicht widerstehen und nahm sie vor sich auf den Sattel.
Angélique war seine Lieblingstochter. Er fand sie überaus hübsch, und manchmal träumte er davon, dass sie einen Herzog heiraten würde.
Es war ein klarer Herbsttag, und der nahe gelegene Wald, der sein Laub noch nicht verloren hatte, breitete unter dem Himmel sein rostfarbenes Blätterwerk aus.
Als sie am Gittertor von Schloss Plessis vorbeiritten, beugte Angélique sich vor, um am Ende der Kastanienallee einen Blick auf das herrliche weiße Gebäude zu erhaschen, das sich in seinem Teich spiegelte wie eine Traumwolke. Alles war still, und das im Renaissance-Stil erbaute Schloss, das seine Besitzer ungenutzt ließen, weil sie am Hof lebten, schien, vom Geheimnis
seines Parks und seiner Gärten umgeben, zu schlafen. Durch die verlassenen Alleen spazierten die Hirschkühe aus dem unmittelbar dahinter liegenden Wald von Nieul …
Das Haus des Verwalters Molines lag eine halbe Meile weiter an einem der Zugänge zum Park. Es war ein hübsches kleines, mit blauem Schiefer gedecktes Gebäude aus roten Ziegeln, und in seiner bürgerlichen Robustheit wirkte es wie der besonnene Hüter jenes zerbrechlichen Bauwerks, dessen italienische Anmut die an massige Burgen mit Wohn- und Wehrtürmen gewohnten Menschen des Umlands immer noch verwunderte.
Der Verwalter war das Ebenbild seines Hauses. Nüchtern und wohlhabend, fest verankert in seinen Rechten und seiner Rolle, schien er der wahre Herr dieses riesigen Besitzes zu sein, dessen Eigentümer nur hin und wieder zu Besuch kamen. Vielleicht alle zwei Jahre, im Herbst zur Jagd oder im Frühling zur Maiglöckchenblüte, fiel ein Schwarm von edlen Damen und Herren mit ihren Karossen, ihren Pferden, ihren Windhunden und ihren Musikern im Schloss ein. Ein paar Tage lang wurde ein ununterbrochener Reigen von Festen gefeiert. Eine Zerstreuung folgte auf die andere, was die benachbarten Landadligen jedes Mal in helle Aufregung versetzte, während sie hauptsächlich deshalb eingeladen wurden, damit diese affektierte Gesellschaft sich über sie lustig machen konnte. Dann reisten sie alle wieder nach Paris, und das Schloss sank unter dem Schutz des strengen Verwalters wieder zurück in die alte Stille.
Vom Geräusch der Hufschläge angelockt, trat Molines hinaus in den Hof seines Hauses und verneigte sich mehrmals mit einer Geschmeidigkeit, die ihn keinerlei Überwindung kostete, da sie zu seinen Aufgaben gehörte. Angélique, die wusste, wie hart und arrogant dieser Mann sein konnte, schätzte seine übertriebene Höflichkeit nicht sonderlich, aber Baron Armand war offensichtlich äußerst angetan.
»Ich hatte heute Morgen keine weiteren Verpflichtungen und wollte Euch nicht unnötig warten lassen, Maître Molines.«
»Ich danke Euch, Baron. Ich fürchtete schon, Ihr könntet es ungehörig finden, dass ich Euch einfach so durch einen Knecht herbitten ließ.«
»Daran habe ich keinen Anstoß genommen. Ich weiß ja, dass Ihr es vermeidet, zu mir zu kommen, weil mein Vater in Euch immer noch einen gefährlichen Hugenotten sieht.«
»Ihr seid sehr scharfsichtig, Baron. In der Tat möchte ich weder Monsieur de Ridoué noch Eurer frommen Gemahlin Anlass zur Verstimmung geben. Daher ziehe ich es vor, hier bei mir mit Euch zu reden, und ich hoffe, dass Ihr und Eure kleine Tochter mir die Ehre erweisen werdet, mit uns zu Mittag zu essen.«
»Ich bin nicht mehr klein«, sagte Angélique verärgert. »Zu Hause kommen nach mir noch Madelon, Denis, Marie-Agnès, Albert und ein neues Kleines, das gerade erst geboren ist.«
»Mademoiselle Angélique möge mir verzeihen. Die Ältere zu sein verlangt in der Tat
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