Angélique - Die junge Marquise - Golon, A: Angélique - Die junge Marquise - Angélique 01. Marquise des Anges
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Der Einband bestand aus jenem blauen Packpapier, mit dem die Spezereihändler ihre weißen Zuckerhüte vor dem Verkauf einwickelten. Vermutlich hatte ein ungenutzter Packen dieses Papiers, der vergessen in einem ihrer Läden herumlag, jenen Buchdrucker und -händler aus Troyes darauf gebracht, billige Heftchen für das bäuerliche Publikum aufzulegen, dessen Kindern Pfarrer und Lehrer jahrein, jahraus das Lesen beizubringen versuchten. Kindern, die, wenn sie älter wurden, niemals die Möglichkeit hatten, Zeitungen zu kaufen wie in den Städten oder gar gedruckte, in Leder gebundene Bücher, ein unerschwinglicher Luxus für die unablässig auf den Feldern schuftende und von den zahllosen Steuern ausgeblutete Landbevölkerung.
Anscheinend hatte der Drucker seinen Gehilfen die Wahl überlassen, mit welcher intellektuellen Nahrung er die Bögen zwischen dem blauen Einband füllen sollte, der von durch zwei Löcher gefädelten Hanfschnüren zusammengehalten wurde.
Was die Gehilfen in den Lagern der Buchhandlung ausgesucht hatten, wo alte, aus der Mode gekommene Ausgaben verstaubten, erwies sich als ein voller Erfolg. Ständig kamen die Kolporteure zurück, um sich mit Nachschub einzudecken und sich über Neuheiten zu informieren. Gleichzeitig brachten sie auch ganze Listen mit Lieblingsfiguren mit, die nach dem Willen der Leser wieder im Programm erscheinen sollten. So fanden sich darin all die alten Legenden und dazu, im fröhlichen Getöse riesiger gekreuzter Klingen, die Großtaten von Helden, von denen man träumen konnte, ohne befürchten
zu müssen, von ihrer Feigheit enttäuscht zu werden oder zu sehen, wie sie sich als unwürdig erwiesen.
Und so spürten sie alle, gleichermaßen beruhigt und erregt von diesen märchenhaften Geschichten, wie in ihnen die kristallklare und diamantharte Seele der alten Provinzen aufblühte, und in dieser Stille wurden sie sich mit Wonne der dicken schützenden Mauern ringsum bewusst, der treuen Wehrhaftigkeit des alten Bauwerks, das wie eine schwarze felsige Insel in der Dunkelheit aufragte, zwischen den beiden ursprünglichen Elementen der Schöpfung, dem Wasser der Sümpfe in der einstigen Meeresbucht, aus der sich die brackigen Fluten des Ozeans zurückgezogen hatten, und dem sanften Kräuseln des riesigen keltischen Waldes, der die Landspitzen am Ende der Welt bedeckte.
Eine der stattlichen Mauern von Schloss Monteloup blickte zu den Sümpfen hin. Das war der älteste Teil, im zwölften Jahrhundert erbaut von einem fernen Seigneur de Ridoué de Sancé, einem Gefährten von Gottfried von Bouillon. Sie war flankiert von zwei dicken Türmen mit schindelgedeckten Wehrgängen, und wenn Angélique zusammen mit Gontran dort hinaufkletterte, machten sie sich einen Spaß daraus, durch die Maschikulis zu spucken, durch die die Soldaten im Mittelalter Eimer voll siedendem Öl auf ihre Angreifer geschüttet hatten. Die Mauern erhoben sich auf einem kleinen Kalksteinvorsprung, hinter dem die Sümpfe begannen. Zu Zeiten der ersten Menschen hatte sich das Meer bis hierher erstreckt. Bei seinem Rückzug hatte es ein Geflecht aus Bächen, Kanälen und Tümpeln hinterlassen, das inzwischen von Pflanzen und Weiden überwuchert war, ein Reich der Aale und Frösche, in dem sich die Bauern nur in Booten fortbewegten. Die Weiler und Hütten standen auf den Inseln der einstigen Bucht. Der Herzog von La Trémoille, der sich gerne exotisch gab, hatte diese wasserreiche
Provinz, nachdem er sie eines Sommers als Gast des Marquis du Plessis durchstreift hatte, das »Grüne Venedig« genannt.
Das endlose Grün der Süßwassersümpfe erstreckte sich von Niort und Fontenay-le-Comte in Richtung Ozean. Kurz vor Marans, Chaillé und sogar Luçon trafen sie auf die immer noch salzigen Marschen. Und dahinter schließlich lag die Küste mit ihrem weißen Wall aus kostbarem Salz, um das die Zolleinnehmer und Schmuggler erbittert stritten.
Wenn die Amme keine Geschichten über die Zollhäscher und Salzschmuggler erzählte, die die Sümpfe begeisterten, so lag dies daran, dass sie selbst auf der Landseite lebte und diese Leute, deren Füße ständig im Wasser steckten und die darüber hinaus allesamt Protestanten waren, zutiefst verachtete.
Auf der Landseite wies Schloss Monteloup eine jüngere, von zahlreichen Fenstern durchbrochene Fassade auf. Lediglich eine alte Zugbrücke, auf deren verrosteten Ketten die Hühner und Truthähne hockten, trennte den Hauptzugang von den Maultierweiden. Zur Rechten
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