Angélique - In den Gassen von Paris
sehr geschickt. In seiner vertrauten Haltung, nämlich wie eine Kröte neben Cul-de-Bois hockend, ließ Barcarole kurze Sätze fallen, die Angélique, die zwischen Schrecken und Neugier schwankte, alles enthüllten; die geheimen Intrigen und das ganze abscheuliche Arsenal der Praktiken und Täuschungen, deren Zeuge er wurde.
Warum verließen diese großen Damen oder diese Fürsten den Louvre in grauen Umhängen und waren maskiert? Warum
beschritten sie die schlammigen Straßen von Paris und klopften an die Tür eines elenden Lochs, die ihnen von einem Grimassen schneidenden Zwerg geöffnet wurde? Warum vertrauten sie einer ständig halb betrunkenen Frau ihre intimsten Geheimnisse an?
Weil sie etwas wollten, das man nicht mit Geld kaufen konnte.
Sie wollten Liebe. Die Liebe der Jugend, aber auch die Liebe reifer Frauen, die zusehen müssen, wie ihnen ihre Liebhaber entgleiten, und sie aufhalten wollen. Und dann waren da noch die Ehrgeizigen, die niemals genug bekommen und immer höher und noch höher aufsteigen wollen…
Von der Voisin wollten sie den magischen Liebestrank, der das Herz in Ketten legt, oder das Aphrodisiakum, das die Sinne reizt.
Manche wünschten sich auch das Erbe eines alten Onkels, der sich nicht entschließen konnte, diese Welt zu verlassen, oder den Tod eines greisen Ehemanns, einer Rivalin oder eines ungeborenen Kindes.
Engelmacherin, Giftmischerin, Hexe – all das war die Voisin.
Was wollten ihre Kunden noch? Schätze finden, mit dem Teufel sprechen, einen Verstorbenen wiedersehen, mit Hilfe von Magie aus der Entfernung töten … Man brauchte bloß die Voisin aufzusuchen. Rasch den Preis ausgemacht, und die Voisin setzte ihre Komplizen ein: den Gelehrten, der Gifte herstellt; den Lakaien oder die Zofe, die Briefe stehlen, den auf Abwege geratenen Priester, der schwarze Messen liest, oder auch das Kind, das als Opfer dargebracht wird, indem man ihm eine lange Nadel in den Hals sticht und sein Blut trinkt …
Angélique, die durch eine falsche Anklage wegen Hexerei unter den Abschaum des Hofs der Wunder geraten war,
lernte nun durch Barcaroles Erzählungen echte Hexerei kennen. Er enthüllte ihr auch den entsetzlichen Verfall der religiösen Gefühle in ihrem Jahrhundert, in dem Gott durch den Teufel verdrängt wurde.
Ein gewisser Jean-Pourri verkaufte der Voisin viele Säuglinge für ihre Opferrituale. Über ihn war Barcarole an den Posten als Portier bei der Hellseherin gekommen. Jean-Pourri liebte ernsthafte, gut gemachte und wohl organisierte Arbeit.
Es begann in Strömen zu regnen.
»Ein Glück für die Gefangenen im Justizpalast«, sagte die Polackin und lachte. »So werden ihre Verliese wenigstens mal gesäubert.«
Wie gewöhnlich, wenn sie ein wenig angeheitert war, stürzte sie sich in eine heftige Diskussion mit den anderen, in der es um die Zellen und Verliese der verschiedenen Gefängnisse der Hauptstadt ging.
Über die einfachen Löcher war man sich einig. Bei den Zellen im Grand Châtelet und denen im Justizpalast, die man auch »dépôts« nannte, konnte man kaum entscheiden, welche schrecklicher waren.
Aber was die unterirdischen Verliese anging, da waren es die im Justizpalast, die den größten Schrecken erweckten. Und dies umso mehr, da man lange behauptet hatte, in diesem Palast, der als Wohnstätte für Könige und ihre adligen Gäste errichtet worden war, gebe es keine. Das Schweigen zu diesem Thema, das nur bei den großen Hochwassern der Seine gebrochen wurde, machte alles, was mit diesen »oubliettes« genannten Verliesen zu tun hatte, nur noch mysteriöser. Wenige Menschen hätten sagen können, an welcher Stelle dieses gewaltigen Gebäudekomplexes, der sich
im Lauf der Jahrhunderte immer weiter ausgebreitet hatte, sie sich befanden.
Die Polackin versicherte, sie lägen in dem schrecklichen Bonbec-Turm, genau unterhalb des Foltersaals, der dem Turm wegen der Schreie, die aus ihm drangen, seinen Namen gegeben hatte.
Unmittelbar darunter befanden sich in engen Kellerräumen zwei Brunnen oder Zisternen, die in Verbindung mit der Seine standen und deren Wände mit Eisenspitzen gespickt waren, von denen die Körper der Unglücklichen, die man dort verschwinden lassen wollte, zerrissen wurden.
Auf diesem dunklen Weg, über den man die Gefangenen führte, war jede Kerkerzelle mit einer Klappe verschlossen, die unter ihren Füßen nachgab, woraufhin sie verletzt und unter Schmerzen hinunterfielen.
Nur die großen Hochwasser, bei denen die
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