Angélique - In den Gassen von Paris
Leiht mir doch mal eure Laterne!«
Die beiden Männer blieben stehen und musterten sie argwöhnisch.
»Hübsches Mädel«, meinte der eine.
»Pass bloß auf«, sagte der andere, »das ist Calembredaines Braut. Halt die Finger bei dir, wenn du nicht willst, dass er dich absticht wie ein Schwein. Auf die da ist er eifersüchtig wie ein Türke!«
»Oh, ein Affe!«, rief Angélique, die endlich erkennen konnte, was für ein Tier sich da an ihr festklammerte.
Der Affe hatte immer noch die langen, dünnen Ärmchen um Angéliques Hals geschlungen, und seine schwarzen, ängstlichen Augen sahen die junge Frau mit einem beinahe menschlichen Ausdruck an. Obwohl er mit einem roten Seidenhöschen bekleidet war, zitterte er heftig.
»Gehört der euch oder einem eurer Kameraden?«
Die Schiffer schüttelten den Kopf.
»Herrje, nein. Wahrscheinlich eher einem der Gaukler vom Markt in Saint-Germain.«
»Ich habe ihn da unten gefunden. Am Fluss.«
Einer der Männer hielt die Laterne in die Richtung, in die sie wies.
»Da liegt jemand.«
Sie traten näher heran und entdeckten jemanden, der wirkte, als habe er sich zum Schlafen hingelegt.
»Heda, Mann! Bisschen frisch, um da zu schlafen!«
Als der Mann sich nicht rührte, drehten sie ihn um und stießen einen Entsetzensschrei aus, denn er trug eine Maske aus rotem Samt. Ein langer weißer Bart hing ihm bis auf die Brust. Sein spitzer, mit roten Bändern besetzter Hut, sein bestickter Bettelsack und seine Samtschuhe, die ebenfalls mit abgeschabten, schlammigen Bändern an den Beinen festgehalten wurden, wiesen ihn als italienischen Gaukler aus. Er war einer dieser fahrenden Schausteller, die aus dem Piémont kamen und von Markt zu Markt zogen, um ihre Tiere zu zeigen.
Er war tot. Sein Mund stand offen und war bereits voller Schlamm.
Der Affe, der sich immer noch an Angélique klammerte, stieß klagende Schreie aus.
Die junge Frau bückte sich und nahm dem Mann die rote Maske ab. Dahinter befand sich das Gesicht eines ausgezehrten Greises. Die Züge waren im Tod verzerrt, und seine Augen waren glasig.
»Den kann man wohl nur noch in den Fluss werfen«, meinte der eine Schiffer.
Aber der andere bekreuzigte sich fromm und wandte ein, man müsse einen Geistlichen aus Saint-Germain-des-Prés holen und dem armen Fremden ein christliches Begräbnis zukommen lassen.
Angélique entfernte sich lautlos und machte sich auf den Rückweg zur Tour de Nesle.
Den kleinen Affen hielt sie an sich gedrückt. Kopfschüttelnd erinnerte sie sich an eine Szene, der sie damals keine Bedeutung beigemessen hatte. In der Taverne zu den drei Hämmern hatte sie den Affen zum ersten Mal gesehen. Er hatte alle Gäste zum Lachen gebracht, indem er ihre Art
zu essen oder zu trinken nachgeahmt hatte. Und Gontran hatte seiner Schwester den alten Italiener gezeigt.
»Sieh nur, ist das nicht herrlich: die rote Maske und dazu der Bart, der aussieht wie glitzernder Schnee«, hatte er gesagt.
Jetzt erinnerte sie sich auch, dass der Affe von seinem Herrn Piccolo gerufen worden war.
»Piccolo!«
Der Affe stieß einen betrübten Schrei aus und schmiegte sich an sie.
Erst später bemerkte Angélique, dass sie immer noch die rote Maske in der Hand trug.
Kapitel 3
März 1661
E s herrschte tiefe Dunkelheit im Schloss von Vincennes. Die Frauenhand, die sich auf die Schulter des schlafenden Königs legt, gehört Madame Hamelin, die einst seine Amme war und seit seiner Kindheit das Vorrecht genießt, ihn am Morgen zu wecken, bevor er unter den Augen der Höflinge seinen Tag als Monarch antritt.
Doch in diesem Moment ist der Morgen noch fern. Aber so haben sie es abgesprochen, und daher weiß er, was dieser Druck auf seiner Schulter zu bedeuten hat.
»Erhebt Euch, Sire! Es ist so weit… Der Kardinal hat seinen letzten Atemzug getan.«
Er steht auf, wobei er achtgibt, seine Frau, die Königin, die neben ihm schläft, nicht zu wecken. Rasch und schweigend legt man ihm einfache Kleidung an.
Er geht durch die Gänge, wo das erste erstickte Schluchzen laut wird. In der Einsamkeit, die ihn von jetzt an für immer begleiten wird, schreitet er dahin. Und man tritt vor ihm zurück.
Gestern hat der Kardinal ihm seine letzten Ratschläge erteilt: »Keinen Premierminister, Sire. Keinen Günstling! Ihr allein sollt der Herr sein …«
Er hat ihm auch Geheimnisse anvertraut, die allerhöchstens drei oder vier Personen kennen. Das, was man Staatsgeheimnisse nennt, alte Drohungen oder Intrigen, die
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