Angélique - In den Gassen von Paris
ausbreiteten, doch er dämmte sie zumindest ein, indem er ebenso unvermittelt und brutal zurückschlug. Er löschte Brände,
ließ die schwerttragenden Adligen, die sich zufällig dort befanden, Absperrungen bilden und nahm Massenverhaftungen vor. Kaum wurde es nach dieser blutigen Nacht wieder hell, als schon zwanzig hochrangige Halunken aus der Stadt geführt wurden, um an dem düsteren öffentlichen Galgen von Montfaucon gehenkt zu werden.
Der berühmte Jahrmarkt von Saint-Germain war allerdings auch in mehr als einer Hinsicht den erbitterten Kampf wert, den sich die Räuberbanden von Paris wegen des ausschließlichen Vorrechts, dort »ernten« zu dürfen, lieferten.
Von Oktober bis Dezember und von Februar bis zur Fastenzeit tummelte sich dort ganz Paris. Selbst der König war sich nicht zu fein, dort mit seinem Hof einige Abende zu verbringen. Dieser Schwarm bunter Paradiesvögel war wahrhaftig ein Geschenk des Himmels für Beutelschneider und Manteldiebe!
Auf dem Jahrmarkt von Saint-Germain wurde alles angeboten. Die Kaufleute aus großen Provinzstädten wie Amiens, Rouen oder Reims ließen hier Muster ihrer Erzeugnisse ausstellen. In Luxusläden wetteiferte man um Houppelanden aus Marseille, Diamanten aus Alençon und Drageebonbons aus Verdun.
Der Portugiese verkaufte Ambra und feines Porzellan. Der Provenzale Orangen und Zitronen. Der Türke rühmte seinen persischen Balsam und seine Duftwässer aus Konstantinopel. Der Flame stellte seine Gemälde und Käse aus. Unter den Klängen von Glöckchen, Flöten, Rohrpfeifen und Tamburinen war es, als hätte man den Pont-Neuf vielfach vergrößert und mit Sensationen aus der ganzen Welt bestückt.
Die Tier- und Raritätenschausteller zogen die Menge an. Man sah Ratten, die zu Geigenklängen tanzten, oder zwei Fliegen, die einen Fechtkampf mit Strohhalmen vorführten.
Im Publikum drängte sich der zerlumpte Pöbel neben hochrangigen Personen. Auf dem Jahrmarkt von Saint-Germain fanden alle nicht nur ein schillerndes, vielfältiges Warenangebot, sondern auch eine Freiheit der Sitten und des Verhaltens, wie es sie nirgendwo anders gab.
Alles war dazu angetan, die Sinne zu erfreuen.
Zügellose Ausschweifung existierte neben Schlemmerlokalen, schönen, mit Spiegeln und Gold geschmückten Weinstuben und Spielhöllen, in denen man sein Glück mit den Karten versuchte.
Junge Männer und Frauen, die vom Dämon der Liebe besessen waren, fanden dort, was sie suchten.
Doch seit jeher waren die Zigeuner die größte Attraktion auf dem Jahrmarkt von Saint-Germain. Mit ihren Akrobaten und Wahrsagern waren sie die wahren Fürsten des Marktes.
Bereits im Hochsommer sah man ihre Karawanen aus mageren Kleppern mit ihren geflochtenen Mähnen eintreffen, die in buntem Durcheinander mit Frauen und Kindern, Küchengeräten und gestohlenen Schinken und Hühnern beladen waren. Die hochmütigen, wortkargen Männer trugen federgeschmückte Hüte, unter denen ihre glühenden Augen hervorblitzten, und lange Musketen auf den Schultern.
Die Pariser bestaunten sie mit der gleichen eifrigen Neugier, mit der ihre Vorväter diese auf ewiger Wanderschaft befindlichen, dunkelhäutigen Menschen empfangen hatten, als sie im Jahre 1427 zum ersten Mal vor den Stadtmauern von Paris aufgetaucht waren. Man nannte sie Ägypter; auch Böhmen oder Zigeuner. Die Gauner erkannten ihren legitimen Einfluss auf die Gesetze der Unterwelt an, und beim Narrenfest ging der Herzog von Ägypten neben dem König von Tunis, und die hohen Würdenträger des galiläischen
Reiches gingen vor den Gefolgsleuten des Großen Coesre her.
Daher nahm Rodogone, der Ägypter, der ebenfalls dem Zigeunervolk angehörte, naturgemäß eine hohe Stellung unter den Gaunern von Paris ein. Da war es nur gerecht, dass er sich die unmittelbare Umgebung dieser magischen Heiligtümer vorbehalten wollte, die die Wahrsagerinnen – die braunen Hexen, wie man sie nannte – im Zentrum des Jahrmarkts von Saint-Germain unterhielten und die mit Kröten, Skeletten und schwarzen Katzen geschmückt waren.
Doch Calembredaine forderte als Herr der Tour de Nesle und des Pont-Neuf das alleinige Besitzrecht an diesem fetten Brocken. Eine solche Feindschaft konnte nur mit dem Tod eines der Gegner enden.
Am Vorabend der Eröffnung hatten Calembredaines Truppen einen ungeordneten Rückzug antreten und sich in die verfallene Tour de Nesle flüchten müssen, während Rodogone entlang den alten Gräben und der Seine eine Art Sicherheitsgürtel
Weitere Kostenlose Bücher