Angélique - In den Gassen von Paris
gut genug.
Die Verkleidung, die sie gewählt hatte – die des Elendes und der Verkommenheit –, war wahrhaftig die einzige, die es ihr erlaubte, diese Hölle ungestraft zu durchqueren.
Welche Bettlerin hätte ihr an diesem Abend angesichts
ihrer feuchten, zerrissenen Kleider, ihres abgeschnittenen Haars, das zeigte, dass man sie festgenommen hatte, und ihres von Angst und Müdigkeit verwüsteten Gesichts vorwerfen können, nicht zu ihnen zu gehören und mit feindlicher Absicht in dieses schreckliche, verfluchte Gebiet einzudringen?
Trotzdem musste sie achtgeben, dass man sie nicht erkannte. In diesem Viertel hielten sich zwei Banden versteckt, die mit Calembredaine rivalisierten.
Was würde geschehen, wenn sich das Gerücht verbreitete, die Marquise der Engel streiche hier herum? Die nächtliche Jagd der Tiere in den Tiefen eines Waldes ist weniger grausam als die Hatz, die Menschen in einer Großstadt auf einen der ihren veranstalten!
Um sich sicherer zu fühlen, bückte sich Angélique und beschmierte sich das Gesicht mit Schlamm.
Um diese Uhrzeit unterschied sich das Haus des Großen Coesre dadurch von den anderen, dass es erleuchtet war. Hier und da sah man hinter seinen Fenstern wie einen rötlichen Stern ein einfaches Licht flackern, das aus einem Napf mit Öl und einem alten Lappen als Docht bestand.
Angélique verbarg sich hinter einem Eckstein und beobachtete das Gebäude. Das Haus des Großen Coesre war auch das, aus dem der lauteste Lärm drang. Dort versammelten sich Bettler und Räuber wie einst Calembredaines Leute in der Tour de Nesle.
Da es an diesem Abend kalt war, hatte man Türen und Fenster mit alten Brettern verrammelt.
Angélique beschloss, an eines der Fenster zu treten, und schaute durch den Spalt zwischen zwei Brettern. Der Raum war dicht bevölkert, und ein paar Gesichter erkannte die
junge Frau: den Kleinen Eunuchen, den Gefolgsmann Rôt-le-Barbon mit seinem wuchernden Bart und schließlich Jean-Pourri. Er wärmte sich die weißen Hände am Feuer und unterhielt sich mit Rôt-le-Barbon.
»So etwas nenne ich eine schöne Operation, mein teurer Magister. Nicht nur, dass die Polizei uns nichts getan hat; sie hat uns sogar noch geholfen, die Bande dieses dreisten Calembredaine zu zerschlagen.«
»Also, ich finde, jetzt übertreibst du ein wenig. Vierzehn der unsrigen sind ohne Gerichtsverhandlung am Galgen von Montfaucon gehenkt worden! Und man ist sich nicht einmal sicher, ob Calembredaine ebenfalls hingerichtet worden ist!«
»Pah, jedenfalls ist er angeschlagen und wird seine Stellung noch lange nicht wieder einfordern können … vorausgesetzt, er taucht wieder auf, was ich bezweifle. Rodogone hat ihn von all seinen Stammplätzen verdrängt.«
Le Barbon seufzte.
»Dann müssen wir eines Tages gegen Rodogone kämpfen. Diese Tour de Nesle, von der aus man den Pont-Neuf und den Jahrmarkt von Saint-Germain beherrscht, ist eine starke strategische Stellung. Einstmals, als ich am Kollegium von Navarra noch ein paar Schelme in Geschichte unterrichtet habe ..«
Jean-Pourri hörte ihm nicht zu.
»Sei nicht so pessimistisch bezüglich der Tour de Nesle. Ich für meinen Teil kann mir gar nichts Besseres denken als ab und zu eine kleine Revolution von dieser Art. Was ich in der Tour de Nesle für eine Ernte eingefahren habe! Ungefähr zwanzig ausgezeichnete Kinder, die mir viele klingende Écus einbringen werden.«
»Und wo sind diese Engelchen?«
Jean-Pourri wies zur rissigen Decke.
»Da oben … Madeleine, mein Kind, komm doch einmal her und zeige mir deinen Säugling.«
Eine dicke Frau mit abgestumpftem Blick löste ein Kind von ihrer Brust und hielt es dem abscheulichen Individuum hin. Jean-Pourri nahm es und hielt es bewundernd in die Höhe.
»Ist er nicht schön, der kleine Mohr? Wenn er groß ist, lasse ich ihm einen himmelblauen Anzug machen und verkaufe ihn bei Hof.«
In diesem Moment nahm einer der Gauner seine Rohrflöte, und zwei andere begannen eine ländliche Bourrée zu tanzen. Angélique konnte nicht mehr hören, was Jean-Pourri und Le Barbon sprachen.
Doch eines war sicher: Die aus der Tour de Nesle entführten Kinder befanden sich in diesem Haus; anscheinend in einem Raum, der über dem Großen Saal lag.
Sehr langsam tastete sie sich an der Mauer entlang. Schließlich fand sie eine Öffnung, die zu einer Treppe führte. Sie zog die Schuhe aus und schlich auf nackten Füßen weiter, um nicht das leiseste Geräusch zu erzeugen.
Sie begann die
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