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Angélique - In den Gassen von Paris

Angélique - In den Gassen von Paris

Titel: Angélique - In den Gassen von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Golon
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Wendeltreppe hinaufzusteigen. Ein schwaches Licht, dessen Quelle nicht zu bestimmen war, erleuchtete die ziemlich hohen und steilen Stufen aus gestampftem Lehm. Neben ihnen her verlief eine Art glatte Spur, die ebenfalls aus gestampfter Erde bestand und immer wieder die Stufen zu einem Absatz erweiterte und sich dann auf der anderen Seite fortsetzte.
    Während Angélique, verkrampft vor Angst, hinaufstieg, nahm sie jede Einzelheit in sich auf. Sie erkannte, dass diese Rampe, die sich um die Treppe wand, für eine besondere Gruppe unter den Einwohnern dieses verfluchten Labyrinths
ersonnen worden war. Beinlose wie Cul-de-Bois oder Männer mit verkrüppelten Beinen wie Rolin-le-Trapu, der Große Coesre, konnten sich auf diese Weise allein fortbewegen und ihre Unterlage oder ihren Karren mit der Kraft ihrer Arme vorantreiben. So konnten sie zwischen den Etagen wechseln, ohne ständig auf die Hilfe anderer zurückgreifen zu müssen. Mit zugeschnürter Kehle stellte sie sich dieses monströse Leben vor, die scharfe und ständig wachsame Intelligenz dieser gefährlichen Wesen, die aus dieser von Schlamm und Holz zusammengehaltenen Ruine eine uneinnehmbare Festung gemacht hatten. Aber nichts hätte sie auf dem Weg in deren feindliche Tiefen aufhalten können, in denen ihr Kind gefangen war.
     
    Die Treppe mündete in einen Gang. Die Wände und der Boden waren mit Lehm und Stroh verputzt. Zu ihrer Linken erblickte sie einen verlassenen Raum, in dem ein Öllämpchen brannte. In die Wände waren Ketten eingelassen. Wer wurde dort angekettet und gefoltert …? Da erinnerte sie sich: Man erzählte sich, während der Kriege der Fronde habe Jean-Pourri alleinstehende junge Burschen und Bauern entführen lassen, um sie an die Werber der verschiedenen Armeen zu verkaufen … In diesem Teil des Hauses herrschte eine beängstigende Stille.
    Angélique ging weiter.
    Eine Ratte streifte sie, und sie unterdrückte einen Aufschrei.
     
    Plötzlich schien ein neues Geräusch aus den Tiefen des Gebäudes aufzusteigen.
    Ein Seufzen war das, ein fernes Klagen, das nach und nach deutlicher wurde. Das Herz wurde ihr schwer, denn sie erkannte, dass da Kinder weinten. Sie stellte sich Florimonds
Gesicht mit seinen entsetzten schwarzen Augen vor und sah, wie Tränen über seine blassen Wangen liefen. Er fürchtete sich im Dunkel, und er rief nach ihr … Immer rascher ging sie weiter, angezogen von diesen Jammerlauten. Sie stieg noch ein Stockwerk höher und durchquerte zwei Räume. Öllämpchen verbreiteten dort ihr trübes Licht. An den Wänden bemerkte sie Kupfergongs, die, zusammen mit auf den Boden geworfenen Strohbündeln und ein paar Tonschalen, die einzige Einrichtung dieser unheimlichen Herberge darstellten.
    Endlich ahnte sie, dass sie ihr Ziel erreicht hatte. Sie konnte jetzt deutlich das traurige Konzert der kindlichen Klagen hören, das sich mit beruhigendem Stimmengemurmel mischte.
     
    Angélique trat in einen kleinen Raum zur Linken eines Flurs, den sie seit einer Weile entlangging. In einer Nische brannte ein Öllicht. Das Zimmer war leer, aber trotzdem kamen die Geräusche von dort. An der hinteren Wand entdeckte sie eine Tür aus dickem Holz mit vielen Schlössern. Das war überhaupt die erste Tür, auf die sie traf, denn alle anderen Räume standen weit offen.
    In der Tür befand sich ein kleines vergittertes Fenster. Sie konnte nichts sehen, doch sie erkannte, dass die Kinder dort eingesperrt waren, in diesem Verlies ohne Licht und Luft. Wie konnte man die Aufmerksamkeit eines zweijährigen Kleinkinds auf sich lenken?
    Die junge Frau presste die Lippen an das Fenster.
    »Florimond! Florimond«, rief sie leise.
    Das Weinen wurde ein wenig leiser. Dann ließ sich von drinnen ein Flüstern vernehmen.
    »Bist du das, Marquise der Engel?«
    »Wer ist da?«

    »Ich bin’s, Linot. Jean-Pourri hat uns zusammen mit Flipot und den anderen einkassiert.«
    »Ist Florimond bei euch?«
    »Ja.«
    »Weint er?«
    »Er hat geweint, aber ich habe ihm gesagt, du würdest ihn holen kommen.«
    Angélique konnte erahnen, dass der Knabe sich umdrehte.
    »Siehst du, Flo, die Mama ist gekommen«, wisperte er.
    »Geduld, ich hole euch heraus«, versprach sie.
    Sie trat zurück und nahm die Tür in Augenschein. Die Schlösser schienen solide zu sein; aber die Wand war brüchig. Vielleicht konnte sie die Türangeln herausreißen. Schon krallte sie die Fingernägel in die Steine.
    Da hörte sie hinter sich ein seltsames Geräusch; eine Art Glucksen, das

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