Angélique - In den Gassen von Paris
man immer noch nicht genau, wie viele Tote diese besonders blutige Auseinandersetzung gefordert hatte. Doch ausnahmsweise war die Polizei ihrer Aufgabe gewachsen gewesen. Sei jenem berühmt-berüchtigten Abend sah man in den Straßen Scharen von Vagabunden, die von den Armenbütteln ins Arbeitshaus getrieben wurden, oder sogar zusammengekettete Sträflinge, die man auf die Galeeren brachte. Auch die Hinrichtungen gingen weiter: Jeden Morgen bei Sonnenaufgang hingen zwei oder drei Gehenkte auf der Place de Grève.
»Ihr werdet schon sehen«, versicherte die dicke Matrone,
die eine wichtige Stellung in der Innung der Blumenhändlerinnen einzunehmen schien, »unser junger König wird uns von diesem Gesindel befreien. Es heißt, er sei entschlossen, bedeutende Reformen vorzunehmen. Bald wir jeder Bettler oder Vagabund, der keinen Wohnort nachweisen kann, festgenommen und zwangsweise ins Asyl verbracht werden.«
»Das ist ein König nach unserem Geschmack«, rief ein hübsches Mädchen mit einem Korb voller Nelken. »Er ist so schön! Ich habe ihn eines Tags gesehen, als er mit der Kutsche durch die Rue de la Vannerie fuhr. ›Es lebe der König! ‹, habe ich gerufen und ihm ein Sträußchen zugeworfen. Es ist in den Rinnstein gefallen, aber er hat es gesehen und freundlich gelächelt.«
»Anscheinend ist er verliebt in eine der Hofdamen der Königin und hat sie zu seiner Favoritin gemacht. Es heißt, er überschütte sie mit Juwelen.«
»Das ist noch so ein Gerücht, das der Schmutzpoet, diese Schlange, verbreitet«, meinte die dicke Händlerin. »Schön, man weiß ja, dass Männer nichts taugen. Aber trotzdem möchte ich gern glauben, dass der Schmutzpoet dieses Mal gelogen hat. Auch wenn die Männer große Schweine sind, würde doch keiner seiner Frau so etwas antun, wenn sie ihr erstes Kind erwartet. Später ist das natürlich etwas anderes. Das Fleisch ist schwach.«
»Ich werde dem Schmutzpoeten weitererzählen, was Ihr über den König gesagt habt, Patin.«
»Erzähl nur, was du willst, Herzchen. Er sitzt im Gefängnis, und sie werden ihn aufhängen.«
»Das glaube ich nicht. Er kommt doch immer irgendwie davon. Außerdem brauchen wir ihn, damit er unseren Glückwunsch an die Königin aufsetzt.«
»Dazu brauchen wir doch nicht unbedingt diesen Reimeschmied«,
meinte die dicke Händlerin, die offensichtlich nicht viel von ihm hielt. »Es gibt noch genügend andere Poeten, die sich ein Bein ausreißen würden, um für uns zu dichten. Außerdem müssen wir dazu den ersten Böllerschuss abwarten…«
»Den fünfundzwanzigsten meinst du wohl, denn erst dann werden wir wissen, ob es ein Junge oder ein Mädchen ist. Vierundzwanzig Kanonenschüsse für eine Prinzessin, und hundert für einen Dauphin.«
Eifrig wurde darüber diskutiert, welchen Putz die Blumen-und Orangenverkäuferin vom Pont-Neuf anlegen würden, wenn sie, zusammen mit den Heringsfrauen aus den Markthallen, der jungen königlichen Mutter und dem Dauphin die Glückwünsche der Händlerinnen von Paris darbringen würden.
»So weit ist es aber noch nicht«, warf Angéliques Meisterin ein. »Mir geht unterdessen eine andere Sorge im Kopf herum. Wo soll unsere Innung ein würdiges Festmahl zum Tag von Saint-Valbonne abhalten? Der Wirt der Guten Kinder hat uns im vergangenen Jahr ordentlich übers Ohr gehauen. Keinen Sou möchte ich mehr in seinen Geldbeutel tun.«
An dieser Stelle mischte Angélique sich in das Gespräch ein, dem sie bisher respektvoll und schweigend gelauscht hatte, wie es sich für ein Lehrmädchen gehört.
»Ich kenne da eine ausgezeichnete Bratküche in der Rue de la Vallée-de-Misère. Die Preise sind günstig, und man bereitet dort köstliche, neuartige Speisen.«
Rasch zählte sie einige Spezialitäten von der Tafel des Palasts der Fröhlichen Wissenschaft auf, bei denen sie einst selbst Hand angelegt hatte.
»Flusskrebspasteten, mit Fenchel gefüllter Truthahn, geschmorte
Lammkutteln, gar nicht zu reden von dem Mandelgebäck mit Pistazien, den Fleischpasteten und Aniswaffeln. Aber vor allem bekommt Ihr, Mesdames, in diesem Lokal etwas zu essen, das nicht einmal Seine Majestät, Ludwig XIV., je auf seiner Tafel gesehen hat: glühend heiße und ganz leichte Brioches, die mit einem Stückchen gefrorener Gänseleber gefüllt sind. Ein wahres Wunderwerk!«
»Hm, mein Mädchen, da läuft einem ja das Wasser im Mund zusammen«, riefen die Händlerinnen aus, auf deren Mienen sich bereits die Genießerlust zeigte. »Von
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