Angélique - In den Gassen von Paris
welchem Lokal sprichst du?«
»Vom Kecken Hahn, der letzten Bratküche in der Rue de la Vallée-de-Misére, wenn man in Richtung Quai des Tanneurs geht.«
»Meine Liebe, ich glaube nicht, dass man dort so gutes Essen serviert. Mein Mann, der im großen Schlachthof arbeitet, geht dort oft auf einen Happen hinüber und sagt, das Lokal sei trübsinnig und wenig einladend.«
»Dann hat man Euch schlecht informiert. Meister Bourjus, der Wirt, hat kürzlich einen Neffen aus Toulouse aufgenommen, der ein ausgezeichneter Koch ist und zahlreiche Gerichte aus dem Süden kennt. Vergesst nicht, dass Toulouse eine der französischen Städte ist, in denen die Blumen regieren. Der heilige Valbonne wird begeistert sein, wenn man ihn unter diesem Motto ehrt! Außerdem gibt es im Kecken Hahn ein Äffchen, das Grimassen schneidet, und einen Leierspieler, der alle Lieder vom Pont-Neuf kennt. Kurz gesagt alles, was man braucht, um sich in angenehmer Gesellschaft zu zerstreuen.«
»Meine Tochter, als Marktschreierin scheinst du noch begabter zu sein als zum Blumenbinden. Ich werde dich gleich zu dieser Bratstube begleiten.«
»O nein, heute geht es nicht. Der Toulouser Koch ist aufs
Land gefahren, um in eigener Person den Kohl für einen Eintopf mit gebratenem Speck auszuwählen, dessen Rezept er allein hütet. Aber morgen Abend wird man Euch und zwei Begleiterinnen erwarten, um darüber zu sprechen, welches Menü Ihr wünscht.«
»Und was hast du mit dieser Bratküche zu tun?«
»Ich bin mit Meister Bourjus verwandt«, versicherte Angélique.
Da fiel ihr ein, dass sie ziemlich abgerissen ausgesehen hatte, als sie der Händlerin zum ersten Mal begegnet war.
»Mein Mann war Zuckerbäcker«, beeilte sie sich zu erklären. »Als er im letzten Winter an der Pest gestorben ist, hatte er noch nicht einmal sein Gesellenstück abgelegt. So bin ich in Armut zurückgeblieben, denn wir hatten wegen seiner Krankheit hohe Schulden beim Apotheker gemacht.«
»Man weiß ja, was es mit Apothekerrechnungen auf sich hat«, seufzten die guten Frauen und verdrehten die Augen zum Himmel.
»Meister Bourjus hat mich aus Gnade und Barmherzigkeit aufgenommen, und ich helfe ihm dafür im Geschäft. Aber da wir nicht viele Gäste haben, versuche ich, anderswo ein wenig Geld zu verdienen.«
»Wie heißt du, meine Schöne?«
»Angélique.«
Damit stand sie auf und erklärte, sie müsse aufbrechen, um dem Wirt Bescheid zu geben.
Während sie eilig zur Rue de la Vallée-de-la-Misère zurücklief, staunte sie darüber, wie viele Lügen sie an einem einzigen Vormittag erzählt hatte. Sie versuchte erst gar nicht zu verstehen, warum sie auf die Idee gekommen war, Gäste für Meister Bourjus zu werben. Wollte sie sich dem Bratkoch gegenüber dankbar erweisen, weil er sie schließlich
doch nicht hinausgeworfen hatte? Oder erwartete sie, dass er sich erkenntlich zeigte? Nein, sie stellte sich keine Fragen. Sie folgte dem inneren Drang, der sie dazu zwang, zuerst das eine und dann etwas anderes zu tun. Der Instinkt einer Mutter, die ihre Kleinen schützt, war erwacht und trieb sie voran.
Jede einzelne Lüge, jede Idee, jeder wagemutige Plan würde dazu beitragen, dass sie sich und ihre Kinder rettete, da war sie sich ganz sicher!
An der Biegung des Quai de la Mégisserie lagen die Türme des Châtelet vor ihr. Aber die Ereignisse der vergangenen Nacht schienen bereits in weite Ferne gerückt. Unwillkürlich machte sie eine Handbewegung, als werfe sie etwas über die Schulter. Sie ließ diese Erinnerung und auch viele andere hinter sich.
Kapitel 14
A m nächsten Tag stand Angélique im ersten Morgengrauen auf. Dieses Mal war sie es, die Barbe weckte, nicht umgekehrt.
»Kommt, aufstehen, die Herrschaften! Vergesst nicht, dass heute die Damen vorbeikommen, die über das Festmahl der Innung sprechen wollen. Wir müssen uns Mühe geben, damit ihnen nur so die Augen übergehen.«
Offenbar hatte das Mädchen noch nicht ganz begriffen, welche Rolle Angélique bei der Vorbereitung des Innungs-Festschmauses zu spielen gedachte.
»Schlaft doch weiter, Gräfin«, meinte sie gähnend und rieb sich die Augen. »Zu Hause bei Eurer Familie wart Ihr es sicher nicht gewöhnt, so früh aufzustehen.«
»Da irrst du dich, Barbe. Ich stehe gern früh auf, eine alte Gewohnheit vom Lande. Und was meine Familie angeht, so kennst du sie – außer meiner Schwester – gar nicht, und Hortense ist nicht unbedingt das beste Beispiel. Wie auch immer, das Vergangene ist
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