Angelique und der Koenig
Angélique erkannte jetzt das riesige, aufgerichtete Rad, die schwarze Gestalt eines Priesters und die rotgekleideten eines Scharfrichters und seiner Knechte, die sich vom Hintergrund des grauen Himmels und der kahlen Bäume abhoben. Es fanden jetzt häufig Hinrichtungen in der Umgebung von Paris statt, da man allzu große Ansammlungen auf der Place de Grève vermeiden wollte. Die Strafe des Räderns war im vergangenen Jahrhundert aus Deutschland eingeführt worden. Man band zunächst den Verurteilten mit ausgestreckten Armen und gespreizten Beinen an zwei x-förmig angeordneten Balken fest. An jedem der Balken waren tiefe Einschnitte ausgehöhlt, besonders dort, wo sich die Knie und die Ellbogen des armen Sünders befinden mussten. Eben hob der Scharfrichter eine schwere Eisenstange und schlug mehrmals zu.
»Wir kommen nicht zu spät«, frohlockte Flipot.
»Man hat ihm erst die Beine gebrochen.«
Seine Herrin wies ihn barsch zurecht. Sie war entschlossen, querfeldein zu reiten, um sich den schrecklichen Anblick zu ersparen. Von Savary und ihren Bedienten gefolgt, hatte sie auch bereits die Chaussee verlassen, als sie von Reitern in der grauen Uniform der Gendarmerie eingeholt wurde. Ein junger Offizier rief ihr zu:
»Halt! Niemand darf hier vor dem Ende der Exekution vorbei.«
Er näherte sich grüßend, und sie erkannte in ihm einen Kornett der Versailler Polizei, Monsieur de Jarnoux.
»Seid so freundlich, mich passieren zu lassen, Monsieur. Ich habe seiner Exzellenz dem Botschafter des Schahs von Persien einen Besuch abzustatten.«
»Dann erlaubt mir, Euch persönlich zu Seiner Exzellenz zu geleiten«, sagte der Offizier, sich im Sattel verneigend. Und er ritt der Hinrichtungsstätte zu, so dass Angélique nichts anderes übrig blieb, als ihm zu folgen. Der Offizier geleitete sie unmittelbar vor das Podest, von dem die heiseren Schreie des Delinquenten aufstiegen, dem der Scharfrichter eben mit brutalen Schlägen Arme und Becken gebrochen hatte.
Angélique hielt ihren Blick gesenkt, um es nicht mit ansehen zu müssen. In ehrerbietigem Ton hörte sie Jarnoux sagen:
»Exzellenz, hier ist Madame du Plessis-Bellière, die Euch zu sprechen wünscht.«
Als sie verblüfft aufsah, fand sie sich einem Reiter gegenüber, der einen Turban aus weißer, von einer Diamantrosette zusammengehaltener Seide trug. Sein bleiches, ausdrucksvolles Gesicht war von einem schwarzlockigen, glänzenden Bart umrahmt. Unter seinem mit Hermelinpelz besetzten Kaftan aus Silberlamé war ein langes, mit Perlenstickereien verziertes blassrosa Brokatgewand zu erkennen. Neben ihm hielt, gleichfalls zu Pferd, ein in bunte Seide gekleideter Page aus Tausendundeiner Nacht ein Gefäß aus edlem Metall mit einem Schlauch, der in einem Mundstück endete. Drei oder vier Perser auf regungslosen Reitpferden bildeten die Leibgarde des Botschafters.
Soliman Bachtiari Bey schien die Meldung des Offiziers nicht gehört zu haben. Den Blick auf das Podest gerichtet, verfolgte er mit gespannter Aufmerksamkeit den Ablauf der Hinrichtung, wobei er von Zeit zu Zeit nach seiner Wasserpfeife griff, um einen Zug aus ihr zu nehmen. Der Rauch entwich seinen breiten, sinnlichen Lippen in bläulichen, wohlriechenden Wolken, die sich langsam in der eisigen Luft auflösten.
Respektvoll wiederholte Monsieur des Jarnoux seine Meldung, dann wandte er sich mit einer entschuldigenden Geste zu Angélique, um ihr zu bedeuten, dass Seine Exzellenz kein Französisch verstehe. In diesem Augenblick trat ein Mann zu ihnen, den sie bisher noch nicht bemerkt hatte. Es war ein Geistlicher, der die schwarze Soutane und den breiten Gürtel des Jesuitenordens trug. Er näherte sich Mohammed Bachtiari und sagte ihm einige Worte auf persisch.
Der Botschafter warf einen leeren Blick auf Angélique.
Doch alsbald bekamen seine Augen einen interessierten, sanften Ausdruck. Mit schlangenartiger Gelenkigkeit ließ er sich zur Erde gleiten.
Angélique schwankte noch, ob es angebracht sei, ihm die Hand zum Kuss zu bieten, als der Botschafter, ohne sie zu beachten, bereits Ceres’ Hals streichelte und Koseworte murmelte. Dann sagte er etwas in gebieterischem Ton.
Der Jesuit dolmetschte.
»Seine Exzellenz bittet um die Erlaubnis, Madame, das Maul Eures Pferdes prüfen zu dürfen. Seine Exzellenz sagt, dass man die Güte eines Rassepferdes am Gebiss und am Gaumen ebenso erkennen könne wie an den Fesseln.«
Die junge Frau konnte einen Anflug von Ärger nicht unterdrücken und antwortete kühl, das Tier sei
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