Angelique und der Koenig
Aussehen und dem verstörten Wesen der Ex-Favoritin. Die Art, wie der König sie zwang, wie ehedem zu erscheinen, Minute für Minute dem Triumph ihrer Rivalin beizuwohnen, grenzte an Grausamkeit. Athénaïs behandelte sie ganz offen mit Geringschätzigkeit. Und – Gipfel der Naivität oder des Zynismus – Angélique hatte sie rufen hören: »Louise, helft mir, dieses Band anzustecken. Der König erwartet mich. Ich werde noch zu spät kommen.«
Fügsam hatte das arme Mädchen die Schleife des Festkleides zurechtgezogen. Was versprach sie sich von ihrer Unterwürfigkeit? Ein Wiederaufleben der Liebe dessen, der nach wie vor die Leidenschaft ihres Herzens blieb? Das war höchst unwahrscheinlich. Sie schien es begriffen zu haben, denn man erzählte, sie habe den König zu wiederholten Malen um Erlaubnis gebeten, sich zu den Karmeliterinnen zurückziehen zu dürfen. Doch der König hatte sich ihrem Wunsch widersetzt.
Angélique beugte sich zu Madame de Sévigné hinunter.
»Warum, meint Ihr, besteht der König wohl darauf, Mademoiselle de La Vallière am Hof zu halten?« flüsterte sie.
Madame de Sévigné, die über Tartüffs Antworten vor Vergnügen zu glucksen begann, schien verwundert, aber sie antwortete mit gedämpfter Stimme:
»Des Marquis de Montespan wegen. Er könnte wiederauftauchen und behaupten, nach dem Gesetz gehöre das Kind seiner Frau ihm. Louise dient als Fassade. Solange sie nicht offiziell verstoßen ist, kann man jederzeit behaupten, die Gunst Madame de Montespans sei ein verleumderisches Gerücht.«
Angélique nickte nachdenklich und kehrte zu den Vorgängen auf der Bühne zurück. Dieser Molière war zweifellos ein Mann von Geist. Doch sie fragte sich während der Aufführung immer wieder, weshalb Monsieur de Solignac und die führenden Köpfe des Ordens vom Heiligen Sakrament beim Erscheinen dieses Stücks rot gesehen hatten. Sie mussten ein reichlich schlechtes Gewissen haben, um sich durch die Figur dieses gesellschaftlich so tief unter ihnen stehenden, ungebildeten Tartüff getroffen zu fühlen, dessen Verstöße gegen die guten Sitten mit ihrer mittelalterlichen Unduldsamkeit nichts zu tun hatten.
In ihrem Appartement fand Angélique ihre beiden Zofen Thérèse und Javotte eben im Begriff, Feuer zu machen. An der Tür stand mit Kreide das ehrende Für angeschrieben.
»Soll ich zum König gehen und ihm für seine Wohltaten danken?« überlegte die junge Frau verwirrt.
»Seine Aufmerksamkeiten einfach hinnehmen wäre ungezogen... Oder soll ich warten, bis er das Wort an mich richtet?«
Sie ließ sich aus ihrem schwarzen Kleid helfen und legte ein anderes, fahlgraues, mit Silberstickereien geschmücktes an, das für das Große Souper besser passte. Während sie ihre Frisur neu herrichten ließ, erschien höchst aufgeregt Mademoiselle de Brienne.
»Ich wusste es ja, dass der kleine Apotheker Euch schließlich einen Schemel verschaffen würde. Ach, ich flehe Euch an, sagt mir, was ich tun, was ich ihm versprechen muss, damit er sich auch für mich verwendet!«
Viel fehlte nicht, und sie wäre mit bittend erhobenen Händen auf die Knie gesunken.
»Beruhigt Euch«, sagte Angélique achselzuckend.
»Meister Savary hat nichts damit zu tun. Ich bin gerade erst aus der Provinz zurückgekehrt.«
»Wer dann? Hat etwa die Voisin Euch geholfen? Sie soll ja sehr viel vermögen. Sie sei die größte Hexenmeisterin aller Zeiten, sagte man mir... Aber ich wage nicht, zu ihr zu gehen... Ich habe Angst, mich um die ewige Seligkeit zu bringen. Gleichwohl, wenn es kein anderes Mittel gibt, zu einem Schemel zu kommen... Erzählt mir doch, was sie Euch zu tun geheißen hat! Ist es wahr, dass man ein neugeborenes Kind töten und sein Blut trinken muss? Oder eine aus Kuhfladen hergestellte Hostie schlucken?«
»Hört auf mit diesen Albernheiten, meine Liebe! Ihr geht mir auf die Nerven. Ich habe mit der Voisin nicht mehr zu schaffen als mit dem Apotheker, jedenfalls, was den Schemel betrifft. Der König gewährt ihn nach seinem Belieben denen, die er zu ehren wünscht. Mit Hexerei hat das nichts zu tun.«
Mademoiselle de Brienne kniff die Lippen zusammen, völlig in ihre fixe Idee verrannt. »So harmlos ist das nicht! Der König ist kein Schwächling. Man kann ihn nicht dazu bringen, etwas zu tun, was er nicht will. Nur die Magie vermag ihn zu bezwingen. Denkt an Madame de Montespan. Hat sie es nicht geschafft?«
»Madame de Montespan würde jedem Manne den Kopf verdrehen. In ihrem Fall kann von Magie schon
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