Angelique und der Koenig
Vorhofs, durch die sich Laternen bewegten. »Sie redete mit einem anderen Eurer Frauenzimmer aus Paris, und ich hab’ gehört, wie die ihr sagte, sie könne sie in ihrer Mietkutsche mitnehmen.«
»Das beruhigt mich. Arme Léonide! Ich werde ihr eine neue Equipage schenken müssen.«
Um ganz sicherzugehen, ließ sie sich von Flipot durch das unwahrscheinliche Gewirr von Fahrzeugen, Pferden und Sänften zu der Stelle führen, wo er Mademoiselle de Parajonc beobachtet hatte. Sie sah sie von weitem und erkannte in »dem andern Frauenzimmer aus Paris« die junge Madame Scarron, eine mittellose und ehrsame Witwe, die häufig als Bittstellerin an den Hof kam, in der Hoffnung, eines Tages eine Beschäftigung oder ein bescheidenes Amt zu erhalten, das sie endlich aus ihrer ewigen Misere befreien würde.
Gerade stiegen die beiden in eine bereits überfüllte öffentliche Kutsche, in der hauptsächlich einfache Leute, zumeist ebenfalls Bittsteller, saßen. Unverrichteter Dinge kehrten sie von ihrem Ausflug nach Versailles zurück, denn der König hatte bekannt geben lassen, dass er die Bittschriften erst morgen nach der Messe in Empfang nehmen werde. Bevor Angélique die Kutsche erreichen konnte, fuhr sie davon. Sie legte ihren Mantel um die Schultern, dann gab sie dem kleinen Lakaien das Brot und die Früchte, die sie mitgebracht hatte.
»Es ist verflucht prächtig hier, Marquise«, flüsterte der Junge mit glänzenden Augen. »Die Küfer haben uns vor den Küchen abgesetzt. Den ›Mund des Königs‹ nennen sie das. ›Mund des lieben Gottes‹ müsste es heißen. Im Paradies kann’s nicht schöner sein. Warm ist es dort, und riechen tut’s von all dem Federvieh auf den Spießen, dass einem das Wasser im Mund zusammenläuft. Bis zu den Knien watet man in Federn... Und all die Köche, die ihre Saucen rühren mit Spitzenmanschetten bis zu den Fingern, den Degen an der Seite, das große Band von ich weiß nicht was über dem Bauch... Kannst du dir Meister Bourgeaud so ausstaffiert vorstellen?«
Wäre Angélique nicht Gast des Königs gewesen, hätte sie sich gar zu gern von ihrem kleinen Bedienten hinüberführen lassen, um ihrerseits den beschriebenen Anblick zu genießen. Wenn man zum rechten Seitenflügel hinüber sah, in dessen Erdgeschoss die Küchen untergebracht waren, vermittelte schon der riesige Feuerschein der Herde und Kohlenbecken, der noch die Büsche und Bäume am Rande der südlichen Gärten aus der Dunkelheit hob, eine Vorstellung des malerischen Treibens dort drüben.
»Ich habe dort auch Javotte gesehen«, sagte Flipot.
»Sie ging hinauf, um die Gemächer der Frau Marquise zu richten.«
»Meine Gemächer?« rief Angélique überrascht. Sie hatte sich noch nicht überlegt, wie sie hier wohl die Nacht verbringen würde.
»Scheint da droben zu sein.«
Mit seinen ewig gestikulierenden mageren Armen deutete Flipot zum tiefschwarzen Himmel, von dem sich der Dachstock des Palastes nur durch Reihen beleuchteter Fenster abhob.
»Hat’s der Herr Marquis Euch nicht gezeigt?« fragte der kleine Lakai erstaunt.
»Ich weiß nicht einmal, wo der Herr Marquis sich aufhält«, erwiderte sie trocken.
»Dieser Ludrian…«, begann Flipot, der seine eigenen Ansichten über die Art hatte, in der sich der Gatte seiner Herrin ihr gegenüber benahm. In den unteren Stockwerken gab es keine Unterkunftsmöglichkeiten für die Hofgesellschaft. Von den königlichen Gemächern abgesehen, befanden sich hier riesige Empfangsräume, die noch nicht fertig eingerichtet waren. Hingegen wies der Dachstock zahlreiche, durch rohe Scheidewände abgeteilte und normalerweise für die Dienerschaft bestimmte Kammern auf. Doch an diesem Abend waren selbst die vornehmsten Edelleute froh, hier ein Unterkommen zu finden. Geschäftig stolperten die Gäste in den engen Gängen über Truhen und Koffer auf der Suche nach den für sie bestimmten ›Löchern‹. Quartiermeister in blauer Uniform schrieben mit Kreide die letzten Namen der Zimmerinhaber an die Türen.
Angélique wurde von Flipot angerufen:
»Pst! Hier, Marquise!«
Er fügte geringschätzig hinzu:
»Sie ist nicht groß. Eure Bude. Eine Schande, dass man im Palast des Königs so untergebracht wird!«
Javotte war da, mit hochroten Wangen und verlegener Miene. Als sie das Zimmer betrat, entdeckte Angélique den Anlass ihrer Verlegenheit: La Violette, den ersten Kammerdiener ihres Gatten. Das einzig Bescheidene an dem stämmigen Burschen war sein Name: Das Veilchen. Er war ein Riese, keck wie ein
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